Erwitte – „Wir halten den Betrieb besetzt“
Der Arbeitskampf der Zementwerker von Seibel & Söhne und ihrer Frauen 1975
Dieter Braeg
1975, fast am Ende des sogenannten „Roten Jahrzehnts“, wurde in einer Kleinstadt, dem westfälischen Erwitte, Gewerkschaftsgeschichte geschrieben. Ein Teil der 150 Beschäftigten des dortigen Zementwerkes Seibel & Söhne – viele hatten in harter verschleißender Arbeit und bei überlangen Arbeitszeiten das Werk nach dem Krieg wiederaufgebaut – fanden sich plötzlich auf einer Entlassungsliste. Der Unternehmer reagierte damit auf die Folgen des Preiskriegs in der Zementindustrie. Das selbstherrliche Auftreten und der respektlose Umgang des Firmenchefs Clemens Seibel mit seiner „Gefolgschaft“ veranlasste die Arbeiter zu einem außergewöhnlichen Schritt: Sie besetzten den Betrieb. Das war die erste Betriebsbesetzung in der Geschichte der Bundesrepublik. Wir haben zentrale Dokumente dieses Arbeitskampfes zusammengetragen, der auch ein Angriff auf das alleinige Verfügungsrecht des Unternehmers über sein Kapital war. Im Laufes dieses Konflikts wurden die Frauen der Zementwerker zu selbstbewussten Akteurinnen und begannen, ihre traditionellen Rollen zu hinterfragen. „Erwitte“ löste eine Prozesslawine aus, die über ein Jahrzehnt dauerte und die Gewerkschaft IG Chemie-Papier-Keramik einen zweistelligen Millionenbetrag kostete. Ein Großteil dieser Summe im Schadensersatzprozess kann auch als abschreckende Strafe für die Verletzung der bürgerlichen Eigentumsrechte angesehen werden. Dieses Urteil blieb nicht ohne Folgen für die weitere Politik der Gewerkschaften.
Es ist enthalten in der beiliegenden CD, auf der insgesamt weitere Dokumente mit über 190 Seiten zum Thema zur Verfügung stehen.