Erziehung erzählen
Modelle intergenerationeller Weitergabe in der deutschen Literatur des Mittelalters
Michaela Pölzl
Schon das europäische Mittelalter diskutierte die bis heute umstrittene Frage nach dem relativen Einfluss von geburtlicher Veranlagung versus Einwirkungen der Umwelt auf Verhalten und Fähigkeiten eines Menschen – mit sehr unterschiedlichem Ergebnis. Literatur als textuelle Welt zweiter Ordnung bietet einen Aushandlungsraum, in dem verschiedene Imaginationen von Erziehbarkeit durchgespielt und gewichtet werden können. Diese Möglichkeit Erziehung zu erzählen nutzt die mittelhochdeutsche Dichtung in überraschend hohem Maße. Um verschiedenen Modellen intergenerationeller Weitergabe in den Texten auf die Spur zu kommen, versteht der Band Erziehung als einen elementaren Faktor des Fortbestands menschlicher Kultur und bestimmt sie als ein sowohl transhistorisch wie auch historisch fassbares Phänomen. So können drei personelle Konstellationen identifiziert und analysiert werden, die sich als zentrale literarische Modelle eines Wissenstransfers zwischen den Generationen erweisen.
The European Middle Ages already discussed the question of the relative influence of birth disposition versus environmental influences on a person’s behaviour and abilities – and came to very different results. Literature as a textual world of second order provides a space for negotiation in which different imaginations of educability can be explored and evaluated. Middle High German poetry uses this possibility of narrating education to a surprisingly high degree. In order to trace different models of intergenerational transfer in the texts, the study regards education as an essential factor in the continuity of human culture and defines it as a phenomenon that can be grasped both transhistorically and historically. In this way, three configurations in the texts are identified and analysed that prove to be key models of knowledge transfer between the generations.