Gegenwelten
Zur Literaturtheorie Idwar al-Harrats
Andreas Pflitsch
Mit dem Ägypter Idwar al-Harrat (geb. 1926) wird in diesem Buch einer der einflussreichsten modernen Autoren der arabischen Welt erstmals in einer europäischen Sprache vorgestellt. Der Name des Erzählers, Romanciers und Literaturkritikers ist seit den späten 50er Jahren eng mit einem Literaturverständnis verbunden, das sich von realistischen Literaturkonzeptionen, wie sie für lange Zeit in Ägypten und der gesamten arabischen Welt vorherrschend waren, abzugrenzen versuchte.Sein im Konzept der Neuen Sensibilität zum Ausdruck kommender literaturkritischer Ansatz steht im Zentrum der Untersuchung. Welche Möglichkeiten bieten sich der Literatur jenseits des literarischen Realismus? Welche Rolle spielt der Autor von Texten, die den allwissenden durch einen alles hinterfragenden Erzähler ersetzen? Wie verhält sich die Konstruktion fiktiver Welten, die nicht mehr beanspruchen, ,Wirklichkeit’ mimetisch widerzuspiegeln, zur Gattung der Autobiographie, die doch traditionell die ,Wirklichkeit’ des eigenen Lebens zu erzählen vorgibt? Welche Möglichkeiten bieten sich zeitgenössischen arabischen Autoren wie Harrat, die eigene kulturelle und literarische Tradition für ihre Poetik fruchtbar zu machen? Und schließlich: Welche politische Relevanz verbirgt sich hinter dem von Harrat vertretenen Literaturbegriff, der sich des traditionellen Engagements enthält und stattdessen auf die Subversion der Fiktion setzt?Die sich aus diesen Fragen ergebenden Überlegungen führen zu einer Einordnung seines Werks in den Kontext der arabischen Literatur des 20. Jahrhunderts, die zugleich den Versuch darstellt, die Geschichte dieser Literatur von einer anderen Seite zu beleuchten und kritisch zu hinterfragen. Durch komparatistisch angelegte Überlegungen gelingt es, die moderne arabische Literatur aus der Rolle eines exotischen Anderen in die zeitgenössische Wirklichkeit der Weltliteratur zurückzuholen. So erweist sich der Umschwung von der Littérature Engagée zum Nouveau Roman in Frankreich und die Überwindung der unmittelbaren Nachkriegsliteratur in Deutschland durch die Autoren der Neuen Innerlichkeit als vergleichbar mit den von Harrat dargestellten Entwicklungen in der arabischen Literatur. Die Ähnlichkeit der literaturkritischen Diskurse legt eine Zeitgenossenschaft nahe, durch die sich das Werk des Alexandriners Harrat in seiner Internationalität und Offenheit als eine Neubegründung des levantinischen Kosmopolitismus im Zeitalter der vielzitierten Globalisierung lesen lässt.