Geht der Kirche der Glaube aus?
Eine Streitschrift
Klaus-Rüdiger Mai
»Mein Reich ist nicht von dieser Welt«, antwortet Jesus dem Pilatus, als der ihn mit dem Vorwurf konfrontiert, er gebe sich als König aus. Jesus Christus gilt den an ihn Glaubenden als Retter der Welt. Insofern ist er tatsächlich König – aber ein König der Herzen. Dieser Unterschied zwischen geistlicher und weltlicher Macht wurde in der Christentumsgeschichte immer wieder missachtet. Und heute?
Der bekannte Schriftsteller Klaus-Rüdiger Mai zeigt in seinem leidenschaftlichen Essay Fehlentwicklungen in den evangelischen Kirchen auf, aber auch Chancen von Kirche, und ermuntert zur freien Debatte ohne ideologische Scheuklappen. »Die Welt verändern« – hin zum Guten – ist der Slogan vieler. Aber muss man dafür nicht den Menschen selbst »verbessern« und die Kirche in eine Art »Moralagentur« verwandeln? Geht das überhaupt oder will der Mensch nur Gott spielen? Martin Luther hat die Gefahren eines ethisch fragwürdigen Moralismus deutlich gesehen. Das tut auch Mai in seiner pointierten Zeitgeistkritik und Rückbesinnung auf den Glauben. Der droht der Kirche auszugehen, wenn Traditionsabbruch und Missionsverzicht zum Markenzeichen der Protestanten werden. Und das hätte auch Auswirkungen auf ganz Europa, dessen Wertmaßstäbe es ohne die christliche Botschaft nicht gäbe und die Mai zufolge ohne das Christentum auch nicht aufrechtzuerhalten sein werden.