Gesammelte Werke und Tagebücher / Erbauliche Reden in verschiedenem Geist
18. Abteilung
Hayo Gerdes, Emanuel Hirsch, Hans M Junghans, Soeren Kierkegaard
Die bedrückenden Erlebnisse im „Corsarenstreit“ 1846 (s. 32. Abteilung der „Gesammelten Werke“) nötigten Kierkegaard, sein Verständnis der Aufgabe des Christen neu zu durchdenken. Zeugnisse dieses die nächsten Jahre füllenden „Reflexionskampfes“ sind außer seinen Tagebüchern (s. 38. Abteilung der „Gesammelten Werke und Tagebücher“, insbes. II. und III. Band) zunächst eine Reihe „erbaulicher Reden“; sie beginnt mit diesem Band. Gerdes schreibt dazu in der Einleitung: Kierkegaard erkennt, „daß Christentum sich nicht in verborgener, wahrer Innerlichkeit erschöpft, sondern als Nachfolge Jesu leidender Zusammenstoß mit dem geistfeindlichen und gottlosen Wesen des „Bestehenden“ ist.“ – Die erste dieser Reden, über das Thema: „Die Reinheit des Herzens ist, Eines zu wollen“, und „wer in Wahrheit nur Eines will, der kann nur das Gute wollen“, wird von dem großen dänischen Kierkegaardforscher Eduard Geismar so gekennzeichnet: „Mir scheint es, daß nichts von dem, was er geschrieben hat, so unmittelbar aus seinem Gottesverhältnis entsprungen ist, wie diese Rede. Es ist eine Beichtrede; und ihre Absicht ist, den Menschen zur inneren Selbstvertiefung und Reue vor Gott zu helfen.“ Kierkegaard betont, daß es bei der Verantwortung vor Gott „kein Versteck in der Menge“ gibt, daß ein Handeln in Übereinstimmung mit dem Urteil anderer keine Entschuldigung für ein Verfehlen des Guten ist: „Für sich selbst, also als Einzelner, soll jeder Mensch Gott Rechenschaft ablegen“. Diese „lange Beichtrede“ wird besonders empfohlen zur Ergänzung und Belebung des Bildes, das „Climacus“ in der „Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift“ (16. Abteilung der „Gesammelten Werke“) von der höchsten, der christlich-religiösen Existenzsphäre (der „Religiosität B“) gegeben hat. – Zu demselben Zweck ist auch die letzte Redengruppe dieses Bandes, über „Das Evangelium der Leiden“, hilfreich. „Das Leiden ist zugleich die von Gott gegebene Gabe des Wegs, der allein uns Vertiefung ins Gottesverhältnis, das Christus ähnlich Werden und ewiges Leben gewährt, und die von Gott gegebene Aufgabe des Wegs, an der wir ethisch-religiös das lernen, was wir von Christus als Glaubende lernen sollen: Selbstverleugnung, fröhliche Sanftmut, stillehaltenden Gehorsam, Anbetung, Gehen in dem von Gott Gewiesenen, Ewigkeitsrichtung und Freimut. Die vierte Rede, das Freudige darin, daß ein Mensch im Verhältnis zu Gott immer schuldig leidet, zeigt, daß das Leiden des Unschuldigen, ins Zentrum des Versöhnungsglaubens gestellt, der uns im Grundverhältnis als vor Gott schuldig und Sünder nimmt, zu einem Zeugnis der sich unser annehmenden göttlichen Liebe wird“. (E. Hirsch in „Kierkegaard-Studien“ 1930-33 Bd.2, Neuausgabe E. Hirsch, Gesammelte Werke Bd. 12, Waltrop 2004, S.865) Damit wird hier sogleich sehr eindrucksvoll erläutert, was Kierkegaard unter der nun mehr und mehr hervortretenden Forderung: „Christentum heißt dem Herrn Nachfolgen“ versteht.