Glaubensverlust und Erlösungsbedürfnis
Hermann Brochs »religiosistisches« Werk
Claudia Scheufele
Wie kaum ein anderer Autor der Moderne hat sich Hermann Broch mit den Folgen der Säkularisierung des Weltbildes und des damit einhergehenden Glaubens- oder Religionsverlusts befasst. Im Ersten Weltkrieg und der folgenden revolutionär-anomischen Zeit sah er den Beweis dafür, dass der »Zerfall« aller sinngebenden Werte und ethischen Normen seinen katastrophalen Höhepunkt erreicht hatte und eine Erneuerung der religiösen Fundierung des menschlichen Daseins verlangte. In der Reflexion dieses religionslosen, aber offenbar religionsbedürftigen Zustands sah Broch die vordringliche Aufgabe seiner Dichtung. Diese wollte er allerdings nicht »religiös«, sondern »religiosistisch« genannt haben, weil sie keine bestimmte religiöse Botschaft enthielt, sondern mit durchaus wissenschaftlichem Anspruch die Notwendigkeit und Möglichkeit einer religiösen Neuorientierung zu erkunden suchte. Die Arbeit von Claudia Scheufele zeigt, mit welcher Beharrlichkeit, deskriptiven Schärfe, philosophischen Eindringlichkeit und dichterischen Gestaltungs- und Ausdruckskraft Broch diese »religiosistische« Analyse- und Konstruktionsabsicht in seinen großen Romanen – Die Schlafwandler (1931–32), Die Verzauberung (1935–36), Der Tod des Vergil (1937–45), Die Schuldlosen (1950) – und essayistischen Schriften verfolgte.