Gotthold Ephraim Lessing. Emilia Galotti und Nathan der Weise
Interpretierende Kommentare
Jürgen Kreft
Die Lektüre klassischer Texte wie Lessings Emilia Galotti und Nathan der Weise hat es in sich. Sie liegen uns zeitlich fern und sind uns dadurch auch in Weltbild und Mentalität ferngerückt. Der Schwierigkeiten, die sich daraus für die Leser ergeben, entledigen die sich zumeist, indem sie die Texte ans eigene Weltbild und an die eigene Mentalität assimilieren und sich damit den Herausforderungen der Texte entziehen. Was in der Auseinandersetzung mit den Klassikern gelernt werden könnte und sollte, findet auf diese Weise nicht statt, obwohl die Orte der Lektüre – zumeist die Schule und Hochschule – doch Lernorte sein sollen. Kritisch interpretierende Kommentare, die dicht am Text von Szene zu Szene fortgehen und zugleich zurück- und vorgreifend das Ganze im Blick haben und von ihm aus Szene und Zeile verstehen, können die Herausforderungen der Texte aktivieren und ihnen gerecht werden und zugleich den Lesern , die lernen wollen und sollen.
Seit langem hat man Lessings Dramen auf für die Praxis recht nützliche Weise kommentiert, aber bislang fehlten interpretierende Kommentare, die einerseits unterschiedliche und doch plausible ›Lesarten‹ vorschlagen und diskutieren; die andererseits die Forschung intensiv be-rücksichtigen und kritisch korrigieren, wo sich gravierende Missverständnisse der Texte etabliert haben. Wo diese Korrekturen im fortlaufenden Kommentar nicht genug Platz finden konnten, sind sie in den verschiedenen Anhängen ausführlich dargelegt und begründet worden.
Besonders hervorzuheben ist der methodische Ansatz der Kommentare: die intentionalistische Interpretation. Das heißt: die Bedeutung der Texte ist durch die Intention des Autors festgelegt. Der Text bedeutet das, was der Autor mit dem Geschriebenen meint, nicht, was der Leser an eigenen Meinungen, Vorurteilen und Missverständnissen in den Text projiziert. Nur die Methode der autor-intentionalistischen Interpretation ist geeignet, zu ermöglichen, dass der Leser am Text das Lesen lernt und damit auch wahrnimmt, was der Text an Einsichten in Welt und Leben bietet.