Händels „Israel in Egypt“
Rezeptionsgeschichte von 1739 bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts
Annette Landgraf
„Israel in Egypt“, komponiert im Jahre 1738, ist ein ganz außergewöhnliches
Werk in Händels Oratorienschaffen. Es entstand in einer Schaffensphase,
in der der Komponist besonders experimentierfreudig und kreativ war und
neue musikalische Gestaltungsmöglichkeiten erprobte. Die Werk- und Rezeptionsgeschichte
verlief ungewöhnlich: Sofort nach der Uraufführung
am 4. April 1739 wurde das Oratorium umgearbeitet. Es folgten nur noch
zwei weitere Vorstellungen in der ersten Spielzeit und eine in der nächsten.
Erst von 1756 bis 1758 führte Händel das Werk wieder auf, jedoch mit einem
völlig anderen ersten Teil. Nach seinem Tod wurden für über zweihundert
Jahre nur Teil II, Exodus, und Teil III, „Moses’ Song“, gespielt, so dass
man „Israel in Egypt“ lange für ein zweiteiliges Oratorium hielt. Erst in der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden sowohl die dreiteilige Fassung
der Uraufführung als auch die dreiteilige Fassung der 1750er Jahre rekonstruiert.
In der Literatur wird das Oratorium oft als Misserfolg für Händel bewertet.
„Israel in Egypt“ war jedoch nie ein verkanntes Werk. Seine Rezeptionsgeschichte
ist eine kontinuierliche und spannende Erfolgsgeschichte. Im
19. Jahrhundert zog es ungeheure Besucherscharen in den Kristallpalast im
britischen Sydenham bei London und verwies „Messiah“ auf den zweiten
Platz. Jeder englische Chor, der etwas auf sich hielt, hatte „Israel in Egypt“
im Repertoire. Felix Mendelssohn Bartholdy war entscheidend an dem Erfolg
des Oratoriums in Deutschland beteiligt.
Die hier vorliegende Monographie zu diesem zentralen Werk Händels, die
auf der Auswertung einer Fülle von Quellenmaterial beruht, zeigt die ununterbrochene
Aufführungsgeschichte in all ihren Facetten, umfasst verschiedene
Aspekte der Entstehungs-, Überlieferungs- und Bearbeitungsgeschichte,
der Diskussion um die Aufführungspraxis Alter Musik, beschreibt
das Phänomen der Massenaufführungen und wertet die wissenschaftliche
und die belletristische Literatur hinsichtlich der Beurteilung
des Oratoriums aus. Die Anhänge bieten detaillierte Übersichten über die
in Großbritannien und Deutschland nachweisbaren Aufführungen und die
Inhalte der verschiedenen Bearbeitungen – bis hin zur nationalsozialistischen
Textfassung „Der Opfersieg bei Walstatt“. Dem Leser eröffnen sich mit
diesem Buch neue und teils auch überraschende Blickwinkel auf die Rezeption
von Händels „Israel in Egypt“.