Halbstark und cool
Ausgewählte Jugendkulturen seit den 1950er Jahren
Jakob Kandlbinder
„Diese heutige Jugend ist von Grund auf verdorben, sie ist böse, gottlos und faul. Sie wird nie wieder so sein wie die Jugend vorher, und es wird ihr niemals gelingen, unsere Kultur zu erhalten!“
Babylonische Tontafel, um 3000 v.Chr.
Schon vor vielen tausend Jahren war Jugend ein brisantes Thema und gab Anlass zu heftigsten Diskussionen. Daß diese Brisanz bis zur heutigen Zeit keineswegs an Bedeutung verloren sondern sogar zugenommen hat, ist nicht verwunderlich. Dies belegen einerseits die jüngsten Erkenntnisse, daß jugendliche Peergroups mittlerweile schon fast der Familie und Schule den Rang als wichtigste Sozialisationsinstanzen abgelaufen haben, und andererseits der höchst ambivalente und mannigfaltige Charakter einer gegenwärtigen Jugend, die sich in eine kaum mehr überschaubare Artenvielfalt von Jugendkulturen mit jeweils eigenen Norm- und Wertvorstellungen, Kleidung und Sprache ausdifferenziert und pluralisiert hat.
In diesem Buch werde ich mich diesen Ausdifferenzierungen und Pluralisierungen von Jugend widmen. Ich werde zum einen bedeutende aktuelle Jugendkulturen, deren gesellschaftliche Entstehungsbedingungen und die Wesensmerkmale bzw. die Gemeinsamkeiten der jeweiligen Mitglieder im Denken und Handeln zu erkunden versuchen. Zum anderen werde ich zeitlich einen Schritt zurück zu den historisch-gesellschaftlichen Ursprüngen gehen und die Jugend bzw. einige wichtige Jugendkulturen der 50er und 60er Jahre, deren Ausgangspunkte, Anreger bzw. Auslöser (Medienkultur, USA, England usw.) und gesellschaftliche bzw. kulturelle Trends beleuchten. Dies halte ich für unbedingt notwendig, da der heutige Charakter der Jugend und die Artenvielfalt von unterschiedlichsten Jugendkulturen ihren Ausgangspunkt in den 50er bzw. 60er Jahren mit dem Einsetzen der vielschichtigen Modernisierung haben (d.h. Mediatisierung, Kommerzialisierung usw.). Zudem ist in diesen beiden Dekaden der Ursprung für wesentliche Elemente unserer heutigen Vorstellung von Jugend zu finden, d.h. erst ab Mitte des 20. Jahrhunderts beginnt die Realgeschichte von der Jugend, die mit dem gegenwärtigen Bedeutungsinhalt übereinstimmt (vgl. D. Baacke, 1999 bzw. J. Zinnecker, 1987 bzw. V. Brand, 1993).
Im letzten Kapitel meines Buches werde ich versuchen, die Wandlungs- und Veränderungsprozesse, die sich im Laufe der vergangenen 50 Jahre innerhalb der Jugend bzw. der Jugendkulturen vollzogen haben, nachzuzeichnen, denn die Jugend bzw. Jugendkulturen der Gegenwart unterscheiden sich, obgleich (oder gerade weil) sie ihren Ursprung in den 50er und 60er Jahren haben, mittlerweile in vielen Aspekten deutlich von ihren damaligen Anfängen.