Händel vor dem Fernrohr
Die Italienreise
Juliane Riepe
Die vermutlich etwa vierjährige Italienreise (ca. 1706–1710), die Händel
als junger Mann unternahm, gilt als prägend für sein späteres Leben und
Schaffen. Ohne sie wäre die weitere Laufbahn des Komponisten, die ihn
noch zu Lebzeiten zu einem der berühmtesten Musiker Europas werden
ließ, nicht denkbar gewesen. Auf die Werke, die Händel in Italien komponierte,
griff er sein Leben lang zurück. Bei John Mainwaring, einem der
frühesten (1760) und einflußreichsten Biographen Händels, erscheint die
Italienreise des Hallensers, beginnend mit der Einladung durch ein Mitglied
der Medici-Familie, als ein einziger großer Triumphzug eines genialen
jungen Komponisten, der allseits bewundert von Erfolg zu Erfolg eilt
und von Fürsten und Kardinälen, Kennern und Kollegen mit offenen Armen
empfangen und aufs Höchste geschätzt wird. Diese Sichtweise blieb
bis heute bestimmend. Die zeitgenössischen Quellen ergeben ein anderes,
lückenhaftes, aber auch facettenreicheres Bild. Ausgangspunkt des neuen
Rekonstruktionsversuches, der in diesem Buch unternommen wird, ist das
Diarium des Prinzen Anton Ulrich von Sachsen-Meiningen (1687–1763),
der 1705 zu seiner Kavalierstour aufbrach und Händel 1707 in Rom mehrfach
begegnete. Das Reisetagebuch des Meininger Prinzen bietet nicht nur
Neues zu Händels Biographie und seinem kompositorischen Schaffen, es
erschließt darüber hinaus eine Fülle von Daten, die helfen, den Kontext der
Italienreise Händels genauer nachzuzeichnen, als es bisher möglich war.