Iambos
Philologische Untersuchungen zur Geschichte einer Gattung in der Antike
Klaus Lennartz
Die Gattung des „Iambos“ gehört bis in jüngste Zeit zu den meistumstrittenen Forschungsobjekten der griechischen Versdichtung: Seit der Mitte des siebten vorchristlichen Jahrhunderts treten v. a. mit Archilochos von Paros (ca. 650), Semonides v. Amorgos (jüngerer Zeitgenosse; berühmtestes Werk ist der sog. „Frauenspiegel“) und dem Epheser Hipponax (ca. 500: der „Erfinder“ des sog. „Hinkjambus“!) scharf konturierte Performer in bestimmten Versgattungen (Trimeter, Tetrameter, z. T. auch „halb-melische“ Kurzstrophen, sog. „Epoden“) in Erscheinung. Dabei treten Themen in den Vordergrund, die (nicht nur) dem neuzeitlichen Rezipenten als schonungslos „personal“, als bis in Pamphletismus und Pornografik hinein explizite „Bekenntnisdichtung“ erschienen sind. Martin Litchfield West leitete 1974 eine „kopernikanische Wende“ in der Auffassung dieses Genres ein, indem er vermeintliche Selbstaussagen des Archilochos als ritual bedingte Rollendichtung deutete. Dieser „stock-character-These“ wurde besonders in Deutschland und Italien widersprochen: Wolfgang Rösler erschloss einen symposialen Gruppenkontext, der die Jambiker als „inner circle“-Dichter verstehen ließ, bei Enzo Degani erstand der „jonische Bettelpoet“, der „antike Villon“ Hipponax neu als präalexandrinischer poeta doctus, der in ironisch-decouvrierender Selbstdarstellung sein literarisches Vexierspiel treibt. Vor dem Hintergrund dieser hochaktuellen Forschungsdebatten unternimmt es der Hamburger klassische Philologe Klaus Lennartz, bekannt durch seine „ikonoklastischen“ (C. Rosato) Forschungen zur frührepublikanischen römischen Tragödie, erstmals ein Gesamtbild des Iambos zu zeichnen und liest die Dynamiken des Genres als Möglichkeitsselektionen und rezeptionelle Entautomatisierungen und Petrefakturen. So geraten neben der „Archilochischen“ und der „Hipponaktischen Frage“, die skrupulöser testimonial-sprachlicher Verifizierung unterworfen werden, der truth effect Solonischer Jambik (um 600) und die Integration der jambischen „Klassiker“ in die Diskursformen des fünften Jahrhunderts ins Auge und erläutert der Autor die Iambos-Renaissance bei dem avantgardistischen „Literatur-Archäologen“ Kallimachos (hierbei wird eine philologische Gesamtwürdigung und Neubewertung des Hellenistischen Iambos erreicht). Den griechischen Sprachraum verlassend, werden die Transformation des Iambos in die Epigrammatizität des Catull und in die frühaugusteische Restauration bei dem römischen „Klientel-Archilochos“ Horaz erarbeitet: Hier stellt Lennartz die oft als selbstverständlich vorausgesetzten Intertextualitätsstrategien der Stücke in Frage, indem er sie rigoros an den Testimonien misst – und somit zu einer Klärung des Gattungsverständnisses eines der bedeutendsten europäischen Dichters gelangt. „Iambos. Philologische Untersuchungen zur Geschichte einer Gattung in der Antike“ ist, ganz als „molekulares“ Fachbuch geschrieben, zugleich doch eine über die Fachgrenzen hinaus wirkende case study generischer Proliferation.