Ich bin kein Mannequin für Krebs
Reden, fühlen, zittern mit Hildegard Knef
Imre Kusztrich
Erinnerungen & Gespräche aus den schwierigsten Jahren einer großen Künstlerin im aufreibenden Kampf mit Medien und Alltag
Durch all die Jahre blieb ein Umzugskarton, prall gefüllt mit Unterlagen aus einer der spannendsten Phasen meines Berufslebens, von mir unangetastet. Nun versetzt sein Inhalt, ausgebreitet auf einem großen Arbeitstisch, selbst mich in Erstaunen. Eng beschriebene, dicke Spiralblöcke mit meinen Notizen über Gespräche mit Hildegard Knef. Sie wünschte den Verzicht auf Aufnahmegeräte, wann immer es möglich war.Hunderte auf IBM-Kugelkopf-Schreibmaschine getippte Seiten, korrekte Abschriften unserer Interviews für die Zeitschrift BUNTE. Der ursprüngliche Umfang solcher Materialien füllte nicht selten 30 und mehr Seiten. Dazu stapelweise lose Blätter mit meinen handschriftlichen Vermerken, Hinweise hinter ihrem Rücken aus ihrem Haushalt oder von ihr selbst bei unseren häufigen Begegnungen. Beispiele: „Perücke, europ. Haar. 2.750 Mark“, „ziemlich entsetzt, nicht geschminkt“, „diese arme Frau hat seit sieben Jahren Schmerzen“ (eine der seltenen Informationen von Ehemann Paul von Schell zu mir im Frühjahr 1980), „. habe ich sie deswegen auf teure Schulen geschickt?“ (diese Bemerkung von Hildegard Knef bezog sich auf Christinas Beziehung zu ihrem späteren Ehemann), „American Express nichts mehr abgebucht“, „böser Unterton“, „Riesenoberlippe“, „ruderte mit dem rechten Arm – vom US-Fernsehen abgeguckt“, „fünf Heiratsanträge“ (von einem sehr bekannten Berliner, der für die Knef seine Position und seine Familie riskierte), „geweint, was aus Hilde geworden ist, die sich zu einem Clown entwickelt hat“ oder „die Knef nach Facelifting wie Klaus Kinski“ (Konkurrentinnen wie Evelyn Künneke konnten schon giftig sein).Ich sammelte diese Details in all den Jahren, um diese Frau besser und besser zu verstehen. Unbestritten war sie eine der größten Künstlerpersönlichkeiten ihrer Zeit. Glücksverwöhnt, schicksalsgeprüft, was am ehesten in den eigenen Worten ihres optimistisch-ironischen Erkenntnislieds „Für mich soll’s rote Rosen regnen“ zum Ausdruck kommt (noch mehr als 40 Jahre später, 2009, wird der Literaturkritiker Professor Dr. Hellmuth Karasek bekennen, dass er weinen muss, wenn er die Knef von ihren roten Rosen singen hört). Allmählich erkannte ich die vermutlich allergrößte Leistung dieser von vielen unverstandenen Frau: die immense Anstrengung, die Familie zu ernähren und für ihre Tochter Christina noch lange ansehnlich zu bleiben – während Krebserkrankung, Scheidungskrieg und Facelifting die Schlagzeilen der Boulevardpresse dominierten.Eine besondere Rolle spielte ein kleines Notizblatt mit dem Aufdruck HYATT HOTELS – dazu später mehr.Vor mir liegen aber auch Briefe Hildegard Knefs an mich, Tonbandkassetten, Fernschreiben – die für vertragliche Vereinbarungen unerlässlichen E-Mails der Siebziger und Achtziger Jahre.Rückblickend betrachtet, war ich Verhandlungspartner, Interviewer, Road Manager, Händchen-Halter und Knef-Flüsterer (dieser Begriff existierte vor 1995 natürlich nicht). Ohne Einschränkung betrachtete ich mich als ihren Dienstleister. Ich tat es begeistert. Ich arbeitete für die Zeitschrift BUNTE. Ich organisierte für die Autorin Knef Interviews und Reisen zu den Berühmtheiten dieser Welt. Ich unterbreitete ihr die Wünsche, Ideen und Aufträge der Redaktion. Ich kämpfte um die Termine. Ich handelte das Honorar mit ihr aus. (Ihr Vertrauen war grenzenlos. Ihre Naivität berührend: „Imre, sage dem Chefredakteur, ich fordere eine Million Mark. Und du darfst mich dann herunterhandeln auf 750.000.“ Kein für sie so typisches dröhnendes Lachen hinterher.)Viele, viele Stunden lang war ich aber hauptsächlich ihr Zuhörer. Wiederholt gewährte sie mir Einblicke in ihr Leben, die sie jedem anderen Journalisten verwehrte. Von einigen mit mir dramaturgisch genau abge- sprochenen Veröffentlichungen aus meiner positiven Sichtweise versprach sie sich eine längst überfällige Korrektur der vorherrschenden öffentlichen Meinung über sie. Weil sie mir vertraute, blieb kaum eines der Themen, mit denen sie von anderen gequält wurde, tabu. Das Facelifting. Ihre Medikamente. Die Ehe mit Paul von Schell. Die Finanzen. Die Ängste. Die alles überstrahlende Wichtigkeit der Tochter Christina.Ein einziges Mal – wir sprachen über ihren Kollegen Harald Juhnke – bat sie mit den Worten „Ich erzähl’ dir das jetzt wirklich als Freund“ wohl um Diskretion. Ansonsten redete sie frei von der Leber weg. So ergab es sich, dass ich es war, der aus ihrem Munde Aussagen hören durfte wie: „Ich bin kein Mannequin für Krebs“ „Facelifting ist besser als Valium“ Und ich war es auch, der sie an einem Dezembertag des Jahres 1979vom 5-Sterne-Hotel „Palace“ in Lausanne in die Praxis des Schönheitschirurgen Dr. Rodolphe Mayer fahren durfte. Sie saß neben mir auf dem Beifahrersitz. Mein Buch ist ein unbedeutender, bescheidener Beitrag, die Erinnerungen und die Art und Weise, wie ich sie erleben durfte, mit anderen zu teilen.Ihre Handschrift habe ich stets vor Augen. Auf das faszinierende Gemälde der Sommerwiese mit Christina schrieb sie rechts unten mit Kugelschreiber sieben Worte. Nur sechs sind lesbar: „Für Imre – in Freundschaft (dann etwas Unentzifferbares) Hilde 1980.“Die rätselhaften Buchstaben lauten vermutlich „deine“. Ich lese sie als „immer“.