Jaspers, Jung und Jünger
Drei Lebenswege ins Wunderland der Metaphysik
Albrecht Kiel
Die drei Zeitgenossen Jaspers, Jung und Jünger wandten sich auf getrennten Lebenswegen gegen das materialistische Dogma des 19. Jahrhunderts, wonach das Zeitalter der Metaphysik überwunden sei. Metaphysik war bisher als „Artikulation des Nichtwissens“ (Jaspers) bloßes „Grenzland“ der Weltorientierung gewesen. Durch die Sprachen der neuen Physik und einer neuartig differenzierten Anthropologie verwandelte sie sich nun in das „Wunderland“ einer höherdimensionalen Wirklichkeit.
Jaspers entwickelte zunächst als neuartige Logik eine zeitgemäße Methoden-, Kategorien- und Wissenschaftslehre. Dies als Arbeitsgrundlage für eine Anthropologie mit verschiedenen psychischen Funktionen auf vier Wirklichkeitsebenen – für die Synopse der Aufspaltungen des Psychischen durch Positivismus, Idealismus, Lebensphilosophie und Existenzphilosophie. Diese zwei Bereiche wurden von ihm als zwei sich überschneidende Kreise aufgefaßt. Sie werden als eine neue Mentalitätsschicht des 20. Jahrhunderts gewürdigt und in einem größeren ideengeschichtlichen Zusammenhang dargestellt.
Existenz und Selbst waren für Jaspers identisch. Jungs Therapieziel war die Ganzheit des Selbst. Er erfaßte hierfür konkreter mit (von Kant und Nietzsche übernommenen) anthropologischen Kategorien die vielfältige Dynamik von Unbewußtem und Bewußtsein. Jungs sarkastische Kritik an zeitgenössischen Philosophen, das ambivalente Verhältnis von Jaspers zu Jung trotz ihrer Konvergenzen und die vergeblichen Vermittlungsversuche des mit beiden Forschern befreundeten Indologen Heinrich Zimmer sind weitere Themen.
Die persönlichen und kollektiven Schatten des Menschen wurden zunächst in der Dichtung angesprochen und dann erst von Nietzsche und Jung zu einem anthropologischen Thema gemacht. Unter dieser Perspektive werden die gegenwärtigen Krisenherde analysiert. Diese dunkle, von den Philosophen ignorierte und nur vage (als „Stufen des Bösen“, „Nihilismus“ oder „Aggression“) angesprochene Schattenseite des Menschen läßt sich nämlich jeweils konkret bestimmen. Jünger erlitt sie als körperlichen Schmerz im Ersten Weltkrieg und potenziert seelischen im Zweiten. Er deutete ihn als Schlüssel unseres Weltverständnisses, denn menschliche Existenz sei Schnittpunkt von Immanenz und Transzendenz, von Zeit und Zeitlosigkeit. Der Schmerz sei auch Grundlage unserer Freiheit, zwischen diesen Bereichen wählen und so erst den inneren Frieden finden zu können. Die neue „Ultra-Physik“ dringe in Gebiete vor, die man früher der Metaphysik zuordnete. Sie biete heute die Gleichnisse, welche in die Lücke eindringen, die der Rückzug der Götter hinterlassen hat.
Zum Autor:
Der 1938 in Naumburg/Saale geborene Autor war als Richter berufstätig. Seit 1990 Publikationen überwiegend zum Menschenbild von Karl Jaspers. 1997 Promotion zum Dr. phil. in Konstanz.