Jungiana / Reihe B. Beiträge zur Psychologie von C. G. Jung / Der Tod des grossen Pan
Zum Untergang des Naturgottes in der Antike
Xaver Wassmann
Im Zentrum der von Prof. Dr. Alois M. Haas betreuten Dissertation steht die mythische Erzählung vom Tod des grossen Pan, welche Plutarch (um 45–120) in seinem Dialog De defectu oraculorum (c. 17) überliefert hat. Pan ist der griechische Bocksgott, halb Mensch, halb Tier, ein Naturgott im umfassenden Sinn, wie die Arbeit neu aufzeigt. Sein Tod ist, wie der Tod jedes Gottes, ein epochales archetypisches Ereignis, das in der Wende der Zeit geschah, als ein neues Gottesbild in vielen Formen bereits überall ans Licht drängte, so auch das christliche. Die Zeichen der Zeit weisen daraufhin, dass der Naturgott notwendigerweise sterben musste, damit der neue Gott, der ein solcher des überweltlichen Geistes war, zum Leben gelangen und sich durchsetzen konnte.
Das symbolische Verständnis des Todes des Pan und der Geburt des neuen Gottes weist nach, dass damals in der Psyche der Menschen ein schmerzlicher dramatischer Kampf des archetypischen Geistes des Bewusstseins gegen die dunklen Natur- und Triebkräfte des Unbewussten tobte. In den historischen Pantod-Zeugnissen manifestiert er sich im Verlust der positiven religiösen Auffassungen der Natur, des existentiellen und des sinnlichen Lebens und des schöpferischen Geistes des Unbewussten. Das neue Gottesbild stiess mit anderen Worten alles Natürliche von sich weg und dämonisierte es in einer gegengöttlichen immanenten Macht. In der Folge blieben bis heute viele Probleme ungelöst, welche jetzt einer neuen Behandlung bedürfen. Die fortlaufende Evolution des Geistes entspricht der Bewusstwerdung, welche sich kollektiv in den historischen Wandlungen des Gottesbildes manifestiert, und darin stellt der Tod des grossen Pan den unvermeidlichen Prozess contra naturam dar.