Jutta Hass
Vor mehr als dreißig Jahren stieg das erste Mal der eigenartige Duft einer weichen Tonmasse in meine Nase. Damals ahnte ich nicht, wie diese flüchtigen Moleküle sich in meiner Nase, meinem Kopf und schließlich in meinem Leben einnisten und dieses verändern sollten. Getrieben von Entdeckerlust versuchte ich alles auszuloten, was mit diesem Material möglich schien. Drei Jahrzehnte später bin ich immer noch eine Getriebe- ne. Noch immer gehe ich an Grenzen, wage, was andere nicht gewagt haben und entdecke komplett neue Techniken. Ich breche mit den Regeln des Handwerks und den üblichen Vorstellungen von Keramik. Meine Wahrnehmung des Materials Ton ist offener und weiter.
Meine berufliche Vorgeschichte in der keramischen als auch der chemischen Industrie bringt zwei Dinge zusammen: Fundiertes Wissen der technischen und handwerklichen Keramik als auch die Möglichkeit, eigene farbgebungstechnische Verfahren zu entwickeln. Diese Erfahrungs- grundlage eröffnet mir in meiner künstlerischen Arbeit unendliche Wege des Ausdrucks.
Meine Arbeit beschäftigt sich mit dem Dualismus von Licht und Dunkelheit. Wüssten wir überhaupt, was Licht ist, wenn nicht die Dunkelheit ein Teil unseres Lebens wäre? Dunkle Lebensabschnitte sperren das Licht aus und machen uns blind und unfähig, das Licht um uns und in uns zu sehen. Doch wenn es uns gelingt, das Licht wieder zu erblicken, erleben wir den Kontrast in besonderer Weise. Die Symbolik von schwarzen und weißen Formen meiner Arbeit veranschaulicht die Untrennbarkeit von Licht und Dunkelheit.
Ausgelöst durch ein persönliches Ereignis prägt seit dem Jahr 2000 zudem das Thema des Verfalls meine künstlerische Arbeit. Meine Skulptu- ren, Objekte und Installationen zeigen den destruktiven Einfluss der Zeit, der Umwelt und bestimmter Ereignisse auf die belebte und unbelebte Materie. In dem Schaffensprozess spüre ich die Ästhetik des Verfalls auf und gebe ihr eine sichtbare Form. Somit konfrontieren meine Werke den Betrachter mit dem Thema Tod und dem Mysterium von Körper und Seele.