KERSTIN KRATZENBERGER Mein Leben und ich
Manfred May
Ich lernte Kerstin Kratzenberger 2010 kennen, als sie, provoziert durch Medienberichte über Entschädigungsmöglichkeiten für DDR-Heimkinder, begonnen hatte, sich intensiv mit ihrer Kindheit und Jugend zu beschäftigen. Hilfe suchte sie beim Bürgerkomitee des Landes Thüringen e.V. und bei der gerade entstandenen Anlauf- und Beratungsstelle für ehemalige DDR-Heimkinder.
Einen ersten Schock stellte die Einsicht in die über sie angelegte „Erziehungsakte“ dar:
K. las Episoden ihrer Kindheit, an die sie selbst keine Erinnerung hatte, so, dass sie bereits die ersten drei Lebensjahre in einem Heim untergebracht worden war.
Sie begegnete sich aber auch in der Sprache einer ihrer Heimleiterinnen, die sie als Lügnerin und hoffnungslosen Fall abstempelt. In einem 2011 im Rahmen einer Forschungsstudie gegebenen Interview sagt sie, dass diese Papiere eigentlich in die Tonne gehörten und dass sie sie auf keinen Fall länger um sich haben möchte.
2021 stellte Frau Kratzenberger beim Landgericht in Halle den Antrag auf strafrechtliche Rehabilitierung wegen der Unterbringung im Durchgangsheim Karl-Marx-Stadt und im Jugendwerkhof Kottmarsdorf. Etwas später folgt der Antrag beim Landgericht Leipzig für die Unterbringung in einer geschlossenen venerologischen Station in Leipzig, in die Frau Kratzenberger während der Rückfahrt nach Entlassung aus dem Jugendwerkhof eingewiesen wurde. Beide Anträge wurden positiv beschieden.
Der vorliegende Text entstand in einem Prozess der Selbst-Vergewisserung im zeitlichen Kontext zu den Rehabilitierungsverfahren