Keynes versus Pigou
Rekonstruktion einer Beschäftigungstheorie jenseits des Marktparadigmas
Jochen Hartwig
Keynes‘ General Theory ist, wie sein Biograph Donald E. Moggridge bemerkte, unter allen seinen Werken wohl am unklarsten geschrieben. Diese Unklarheit zwingt zur interpretativen Rekonstruktion von Keynes‘ Theorie und hat mittlerweile eine kaum noch überschaubare Zahl von Auslegungs-»Schulen« hervorgebracht.
Was jedoch bislang noch nicht hinreichend geleistet wurde, ist die Darstellung der Genesis von Keynes‘ Ideen aus der Auseinandersetzung mit seinem Cambridger Kollegen Arthur Cecil Pigou.
Pigou, der heute fast ausschließlich als Wohlfahrts- bzw. Umweltökonom bekannt ist, hat ein umfangreiches beschäftigungstheoretisches Werk hinterlassen, welches im vorliegenden Buch erstmals komplett rekonstruiert und analysiert wird. Das Neuartige an Keynes‘ Prinzip der »effektiven Nachfrage« kann erst vor dem Hintergrund der älteren Theorie Pigous, gegen die Keynes sich vor allem wandte und die gleichzeitig die »Mutter« der heute wieder dominanten Arbeitsmarkttheorie ist, adäquat erfaßt werden.
Das Buch verfolgt insofern einen neuen Ansatz, als Keynes‘ Beschäftigungstheorie nicht in einem voraussetzungslosen Raum, sondern in seiner (ideen)geschichtlichen Gewordenheit untersucht wird. Der tatsächlich »revolutionäre« Gehalt von Keynes‘ Theorie tritt so viel klarer hervor.
Die hier vorgelegte Interpretation der Beschäftigungstheorie von Keynes unterscheidet sich von der herkömmlichen »keynesianischen« grundlegend. Sie findet im dritten Kapitel der General Theory ihren Hauptbezugspunkt und ähnelt insofern am ehesten dem Ansatz des amerikanischen Postkeynesianers Paul Davidson. Jedoch bestehen zu Davidson teilweise erhebliche Differenzen. Als Beispiel sei der Multiplikatorprozeß genannt, für den eine Neuinterpretation vorgelegt wird.