Kollege M
Novelle
Klaus Ratschiller
Seit dreißig Jahren arbeitet Michael Mitteregger als Deutschlehrer an einem Gymnasium. Die Irritationen durch den schulischen Alltag und seine übergroße Empfindlichkeit sucht er scheinbar stoisch, eher aber zunehmend müde und melancholisch durch Routine zu besänftigen. In der Figur eines älteren und – wie er selbst findet – mittelmäßigen Lehrers will er für sich und andere unwahrnehmbar werden.
Auch an diesem Tag im Mai unterrichtet er wie üblich und sammelt Hefte ein, die er dann zuhause sehr gewissenhaft zu korrigieren beginnt. Doch die beeindruckende, für schulische Verhältnisse geradezu begeisterte Rede eines jungen Kollegen bei einer Fachkonferenz hat ihn diesmal, wie er zunehmend spürt, aus dem Gleichgewicht gebracht. Er wird die Unruhe nicht mehr los, und sie unterwandert bald jede Tätigkeit, besonders die Korrektur der Schülerarbeiten. Als ihn dann am Abend noch überraschend Elsbeth, seine liebste und langjährige Arbeitskollegin, besucht, wird ein unterirdisches Knirschen unüberhörbar, das Murmeln und Klagen sich verfehlender Menschen, ein langsam entgleitendes und, vielleicht, ein sich nochmals aufraffendes Leben.