Kommunale Akteure zwischen Wettbewerb und Kooperation von Egermann,  Markus

Kommunale Akteure zwischen Wettbewerb und Kooperation

Zum kollektiven Handeln kommunaler Akteure im Rahmen regionaler Kooperationen am Beispiel der Metropolregion Mitteldeutschland

Wie steuert man eine Region? Es gibt viele, mit Sicherheit aber keine einfachen Antworten auf diese Frage. Ausgehend von der Kritik am traditionell stark formalisierten und starren Instrumentarium der Raumplanung sowie einer tatsächlich oder vermeintlich umsetzungsschwachen klassischen Regionalplanung haben sogenannte ‚weiche‘ Steuerungsansätze zur Förderung der Regionalentwicklung seit Mitte der 1990er Jahre an Bedeutung gewonnen. Sie basieren maßgeblich auf dem kollektiven Handeln einer Vielzahl von Akteuren und sind inzwischen ein fester Bestandteil der deutschen Raumentwicklungspolitik geworden.
Im Mittelpunkt dieser Steuerungsansätze steht die freiwillige Koordination von Interessen verschiedener öffentlicher und zunehmend auch privater und zivilgesellschaftlicher Akteure auf regionaler Ebene. Es gibt wohl kaum eine Region in Deutschland, in der noch nicht der Versuch unternommen wurde, durch den Aufbau von regionalen Governancestrukturen eine freiwillige und verhandlungsbasierte Steuerungsebene zu schaffen, mittels derer die (Raum)entwicklung der Region beeinflusst werden soll. Raumplanerische Konzepte wie ‚Regionale Entwicklungskonzepte‘, Städtenetze‘ und ‚Metropolregionen‘ aber auch Bundes- und Landeswettbewerbe sowie Instrumente der europäischen Raumentwicklungspolitik (INTERREG) stellen häufig den Rahmen für die Implementierung dieser ‚weichen‘ Ansätze dar.
Dabei wurden in einigen Regionen beachtenswerte Erfolge bezüglich des Aufbaus von regionalen Akteursnetzwerken, der Institutionalisierung und Professionalisierung von Kooperationsstrukturen und der Umsetzung von gemeinsamen Projekten erzielt. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine beachtliche Zahl der initiierten Kooperationsansätze bereits die Phase der Anschubfinanzierung nicht überdauert hat, weitere aus finanziellen oder politischen Erwägungen heraus ein Schattendasein fristen oder für beendet erklärt wurden und wieder andere zwar mit großem Beharrungsvermögen bis heute bestehen geblieben sind, aber letztlich mit Blick auf geringe praktische Erfolge, gerade bei konfliktträchtigen Themen, ebenso hinterfragt werden müssen wie die klassischen Raumordnungsinstrumente.
Aufgrund der ungebrochen hohen Popularität ‚weicher‘ Steuerungsansätze in der Praxis haben diese auch eine erhöhte Aufmerksamkeit in der Wissenschaftslandschaft erfahren. Auch im Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) wurde eine Vielzahl dieser Ansätze seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre begleitet und unterstützt, sei es durch die Erarbeitung von Grundlagen, durch Moderation und Prozesssteuerung oder durch die Evaluierung entsprechender politischer Programme und Wettbewerbe.
Als ich 2001 meine Tätigkeit am IÖR – damals noch als studentischer Mitarbeiter – begann, wurde dort gerade der Bundeswettbewerb „Regionen der Zukunft“ (1997-2000) im Rahmen einer Fortführung der Initiative unter dem Namen „Netzwerk Regionen der Zukunft“ (2000-2003) evaluiert. Das Lesen der Wettbewerbsbeiträge war gleichermaßen spannend wie aufschlussreich. Es zeigte sich, dass die Erwartungen an dieses vergleichsweise neue Instrument durchaus hoch waren und dass im Aufbau von regionalen Akteursnetzwerken die Chance gesehen wurde, die Defizite der traditionellen Raumordnung im Bereich der Raumentwicklung durch ein proaktiveres Vorgehen auszugleichen. Trotz oder vielleicht auch gerade wegen des späteren „Versandens“ vieler Initiativen blieben systematische Evaluierungen weitestgehend aus.
Es war dann das Sächsische Staatsministerium des Innern, welches das methodisch schwierige und politisch riskante Thema der Evaluierung von Regionalentwicklungsansätzen „anfasste“ und das IÖR damit beauftragte (2003) zunächst eine Methodik für eine solche Evaluierung zu entwickeln. Ziel war die Überprüfung der durch den Freistaat Sachsen im Rahmen der Förderrichtlinie ‚Regio‘ geförderten ‚Aktionsräume für Maßnahmen der Regionalentwicklung‘. Die anschließend durchgeführte Evaluierung konnte einen guten Überblick zum Stand des Erreichten in den verschiedenen Aktionsräumen und darauf aufbauend auch Handlungsempfehlungen zur weiteren Ausgestaltung der Förderrichtlinie geben. Dennoch war diese Evaluierung aus wissenschaftlicher Sicht unbefriedigend. Denn eine vertiefte Betrachtung von Entscheidungsprozessen unter Berücksichtigung von Interessen, Positionen und Strategien von einzelnen Akteuren die letztlich entscheidend für den Erfolg oder Misserfolg einzelner Projekte bzw. ganzer Kooperationsansätze waren, konnte damit nicht geleistet werden.
Die Gelegenheit einer solchen vertieften Betrachtung sollte sich dann ab dem Jahr 2006 – wie ich damals nicht ahnen konnte – für einen vergleichsweise langen Zeitraum (bis 2012) ergeben. Die kontinuierliche Befassung mit der Metropolregion Mitteldeutschland (vormals Sachsendreieck), entweder im Auftrag des BMVBS, des Freistaats Sachsens oder der Metropolregion bzw. einer ihrer Mitgliedsstädte selbst, ermöglichte eine mehrjährige teilnehmende Beobachtung die mit einem privilegierten Zugang zu Informationen zu dieser einen Kooperation verbunden war. Vor diesem Hintergrund ergaben sich auch neue Perspektiven für die eigene Forschung zu regionalen Kooperationsprozessen. Plötzlich schienen verschiedene Aspekte zur inneren Dynamik einer Kooperation über einen längeren Zeitraum empirisch beobachtbar, zu denen man als Forscher, wie auch im Rahmen der oben zitierten ex-post Betrachtungen, in der Regel nur begrenzt Zugang hat. Wie wurden beispielsweise Entscheidungen in den verschiedenen Gremien der Kooperation getroffen und wie wirkten sich die selbst aufgestellten Kooperationsregeln auf diese Entscheidungen aus? Welche Akteure innerhalb und außerhalb der Gruppe hatten Einfluss auf die Entscheidungen? Welche Interessen hatten die unterschiedliche Akteure, wie haben sie versucht diese durchzusetzen und mit welchem Ergebnis? Wie sind die Akteure mit Dilemmata umgegangen und wie haben sich ‚stärkere‘ und ‚schwächere‘ Partner verhalten? Wie haben sich Themen, Interessen, Positionen und Kräfteverhältnisse über mehrere Jahre verändert und warum?
Inspiriert von und aufbauend auf Arbeiten von Elinor Ostrom zum kollektiven Handeln, von Fritz Scharpf zur Übertragung spieltheoretischen Wissens auf die Policy-Forschung und zusammen mit Renate Mayntz zum akteurzentrierten Institutionalismus sowie von Arthur Benz zur Steuerung in Mehrebenensystemen und Dietrich Fürst zu regionalen Steuerungsprozessen wurde das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Monographie auf die Erklärung von kollektiven Entscheidungen im Rahmen einer vertieften, langjährigen Einzelfallstudie zur Metropolregion Mitteldeutschland gelegt. Als Autor trage ich die alleinige Verantwortung für das vorliegende Buch. Seine Entstehung basiert jedoch auf der Unterstützung einer Vielzahl von Personen, denen ich an dieser Stelle danken möchte.

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