Konsonantenwandel
Bausteine zu einer Typologie des Lautwandels und ihre Konsequenzen für die vergleichende Rekonstruktion
Martin Joachim Kümmel
Gegenstand dieses Buches ist die Typologie der diachronen Phonologie. In unterschiedlichen und nicht miteinander verwandten Sprachen finden sich immer wieder unter vergleichbaren Bedingungen ähnliche Prozesse, anhand derer Tendenzen und Wahrscheinlichkeiten des Wandels ermittelt werden können. Die Kenntnis solcher Wahrscheinlichkeiten ist notwendig, um aus bekannten Daten ältere Zustände rekonstruieren zu können. Rekonstruktion dient zuerst der Erklärung der Geschichte belegter Sprachzustände, weshalb das Rekonstrukt nicht nur synchron, sondern vielmehr diachron typologisch abgestützt sein sollte: die angenommen Entwicklung muss so plausibel sein wie der Ausgangspunkt. Um Typen und Wahrscheinlichkeiten feststellen zu können, muss eine hinreichend große Zahl von Daten ermittelt werden, im Idealfall alle, wenigstens für einen Teilbereich der Sprachen oder Laute. Nur so lässt sich feststellen, wie häufig z. B. s zu h wird und ob auch umgekehrt h zu s werden kann.Das Hauptziel der Arbeit ist daher eine umfangreiche Datensammlung. Sie beschränkt sich auf konsonantische Wandelprozesse in der indogermanischen Sprachfamilie und in zwei Nachbarfamilien, die eine lange, relativ gut bekannte Geschichte aufweisen: die semitischen und uralischen Sprachen, zusammen ca. 200 Sprachen Eurasiens und Ostafrikas. Als Herzstück des Buches findet der Leser eine nach artikulatorischen Kriterien strukturierte Darstellung der meisten konsonantischen Lautentwicklungen (ohne komplexe Konsonantengruppen sowie Assimilationen und Dissimilationen) aus diesen Sprachfamilien von den rekonstruierten Anfängen bis heute. Im Anhang werden die einzelnen Lautgesetze nach Sprachfamilien und (wo möglich) chronologisch aufgeschlüsselt und durch eine Übersicht über 294 relevante Konsonantensysteme ergänzt. Schon diese bei weitem nicht erschöpfende Sammlung zeigt zahlreiche Tendenzen sowohl des Systemwandels als auch einzelner „Pfade“ des Lautwandels auf, die aber noch der Erweiterung durch Daten anderer Sprachen und Sprachfamilien bedarf.Der zweite Teil beleuchtet mithilfe der so gewonnenen, aber immer noch unvollständigen Daten konkrete Probleme der historischen Sprachwissenschaft aus typologischer Perspektive neu: Details der lydischen, lykischen, altpersischen und khotanischen historischen Phonologie sowie Rekonstruktionsprobleme in der urgermanischen, urindogermanischen und ursemitischen Grundsprache. Im Mittelpunkt stehen dabei die jeweils anzunehmenden Wandelwahrscheinlichkeiten. So stellt sich heraus, dass typologische Daten einerseits helfen, Alternativen zu gewichten und andererseits neue Wege aufzeigen können – jedoch nur im Zusammenspiel mit anderen Informationen.