Kraftwerkstechnik, Band 3
Sichere und nachhaltige Energieversorgung
Michael Beckmann, Antonio Hurtado
Ein Konzept ist ein sinnvolles und für die Planung unumgängliches Instrument, es erfasst Eckpunkte und Leitgedanken, die vor dem Hintergrund bestimmter Ziele einen Handlungsrahmen beschreiben.
Der Europäische Fahrplan für den Übergang zu einer wettbewerbsfähigen CO2-armen Wirtschaft bis 2050 und das Energiekonzept der Bundesregierung – beides aktuelle Dokumente aus dem Jahr 2011 – enthalten u.a. die übergeordnete Zielstellung der Reduzierung der Treibhausgasemissionen. Das deutsche Konzept gibt insbesondere Anforderungen an die Entwicklung erneuerbarer Energien vor: ihr Anteil an der Stromerzeugung soll 35 % bis 2020, 50 % bis 2030 und 80 % bis 2050 betragen. In dem EU-Dokument sind die CO2-Reduktionsziele gegenüber dem Basisjahr 1990 von 40 % im Jahr 2030, 60 % im Jahr 2040 und 80 bis 95 % im Jahr 2050 genannt. In beiden Dokumenten wird eine Reihe von – zum überwiegenden Teil übereinstimmenden – Maßnahmen zur Erreichung der Ziele genannt.
Die Ziele finden eine breite Akzeptanz in der Gesellschaft. Bereits bei den Maßnahmen zur Umsetzung der Ziele schwindet die breite Akzeptanz.
Bei dem Energiekonzept der Bundesregierung sind der Ausstieg aus der Kernenergie, der Neubau von Kohle- und Gaskraftwerken, der Bau von Netzen und die Speicherung von Kohlenstoffdioxid nur vier einzelne Gesichtspunkte aktueller kontroverser Debatten.
Versteht man das Dokument jedoch wieder entsprechend dem Titel als Konzept und bedenkt, dass eine Vielzahl der Maßnahmen derzeit noch Gegenstand der Forschung sind, die in die Praxis umgesetzt werden und sich bewähren müssen und dabei weitere Forschungsaufgaben und auch Lösungen hervor gebracht werden, so vermisst man in der öffentlichen
Diskussion die Würdigung der Chance für diese Entwicklungen. Gleichzeitig muss natürlich auch über das Risiko des Scheiterns einer jeden Entwicklung offen gesprochen werden.
Das Risiko des Scheiterns nimmt bekanntlich mit jedem Schritt in Richtung industrieller Praxis deutlich zu. Damit sind dann auch oftmals längere Entwicklungszeiten und höhere Kosten als geplant verbunden. Großprojekte in der europäischen und transatlantischen Luftfahrtindustrie, Lkw-Maut in Deutschland oder Transrapid sind internationale und nationale Beispiele dafür, wie schwierig es sein kann, komplexe Entwicklungen über einen großen Zeitraum voran zu treiben. Chancen und Risiken müssen öffentlich debattiert werden, um Akzeptanz für den Umbau selbst zu entwickeln, aber auch dafür, dass nicht alle Ziele im ersten Schritt gleichzeitig zu erreichen und gegebenenfalls Übergangslösungen erforderlich sind.
Die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte auf dem Gebiet der Werkstoffforschung zur Erhöhung der Dampfparameter bei fossilen Kraftwerken können heute beim Neubau einfließen. Elektrische Wirkungsgrade von größer 50 % und spezifische CO2-Emissionen von etwa 600 g/kWhel bei 700 Grad Kraftwerken bedeuten einen erheblichen Beitrag zur
Ressourcenschonung. Mit der Carbon Capture and Storage (CCS)-Technologie ist zwar wiederum eine Wirkungsgradeinbuße verbunden, dafür können jedoch spezifische CO2-Emissionen von etwa 100 g/kWhel erreicht werden. Übergangsweise könnte das abgetrennte CO2 aus Kohlekraftwerken für die Methanherstellung aus erneuerbarem Wasserstoff genutzt werden. Bei der Speicherung kann auf die bestehende Infrastruktur zurückgegriffen werden.
Die Energiedichte chemischer Energie beim Transport und bei der Speicherung ist um Zehnerpotenzen größer als bei mechanischer und elektrischer Energie. Der Gesamtwirkungsgrad von elektrischer Energie (z.B. aus Windenergie) über die Elektrolyse von Wasser zu Wasserstoff, weiter mit Kohlenstoffdioxid zu Methan und anschließend zu elektrischer Energie und Wärme über einen Gas-und Dampfturbinen-Prozess wird heute mit kleiner 30 % abgeschätzt – jedoch mit hohem Entwicklungspotenzial. Wenn man von fossilen Kraftwerken für den Übergang spricht, dann ist neben Wirkungsgradsteigerung und CCS auch die Lastflexibilisierung ein wichtiges Thema. Wie lange sich der Übergang vollzieht und in welchem Umfang fossile Energieträger nach 2050 in Deutschland und nukleare Energieträger weltweit noch eingesetzt werden, lässt sich gegenwärtig schwer abschätzen – Szenarien sind bekanntlich immer stark abhängig von den jeweiligen Randbedingungen.
Der stofflichen Nutzung von Kohle wird jedoch auch über das Erdöl-Zeitalter hinaus eine große Chance eingeräumt, womit bereits heute durch die Forschung Rechnung getragen wird. Endliche Rohstoffressourcen und klimapolitische Ziele erfordern ein Umdenken nicht nur in der Energiewirtschaft.
Das KRAFTWERKSTECHNISCHE KOLLOQUIUM versteht sich seit der Gründung vor nunmehr 42 Jahren als Plattform für die wissenschaftliche und politische Diskussion von aktuellen Entwicklungen der Energiewirtschaft und greift die zuvor gestreiften Themen in über hundert Beiträgen auf.
In dem vorliegenden Buch sind Beiträge zu den Themen
• Fossile Kraftwerke
• Gas- und Dampfturbinen
• Pilot- und Neubauprojekte
• Solarkraftwerke
• Netze und Speicher
• CCS-Technologien
• Windenergie
• Verschlackung und Korrosion
• Messtechnik/Simulation
enthalten.
Dieser Band 3 Kraftwerkstechnik setzt die Herausgabe der Fachaufsätze des KRAFTWERKSTECHNISCHEN KOLLOQUIUMS nach einer redaktionellen Bearbeitung fort. Die Aufsätze werden einzeln für die Druckvorstufe bearbeitet. Dazu gehören unter anderem die Bearbeitung des Bildmaterials, die Verschlagwortung und die Herstellung eines möglichst einheitlichen Erscheinungsbildes.