Krankheit und Kriminalität
Die Ärzte- und Medizinkritik der kritischen Theorie
Carl Wiemer
Der medizinische Betrieb und die Tätigkeit des Arztes standen im Brennpunkt von Horkheimers kritischen Intentionen: beginnend mit seinen frühesten Aufzeichnungen, über die Notizen der Dämmerung, den denkwürdigen, Widersprüche überschriebenen Dialog in der Dialektik der Aufklärung bis hin zu den vielen nachgelassenen Fragmenten, unter denen sich allein drei Das Rakket der Ärzte überschriebene Äußerungen finden. Die ärztliche Zunft bildet den Schulfall für Horkheimers Definition des Rackets. Horkheimers Rackettheorie verschärft die Diagnose, die Max Weber einst dem Korporatismus gestellt hatte, nach der jede Berufsvereinigung auch eine Verschwörung gegen die Öffentlichkeit sei. Die gesellschaftliche Ordnung, die sich aus Rackets zusammensetzt, ist eine Spätform des Korporatismus. Die Grenzen, die diesem einst gesetzt waren, werden überschritten, wenn auf feudalistische Art Privilegien gegen Gefolgschaft getauscht werden, wenn das Racket sich auf Kosten der Allgemeinheit erhält, ohne noch äußere Kontrolle zuzulassen. Dieser Gefahr, die die Gefahr eines jeden sich selbst steuernden Systems ist, ist der Medizinbetrieb in Deutschland mittlerweile erlegen. Nichts dokumentiert dies deutlicher als der schleichende Niedergang des hiesigen Gesundheitssystems. Am Beispiel des Ärztestandes kann deshalb in idealtypischer Weise das Wesen der Herrschaft in der nachbürgerlichen Epoche studiert werden. Im übrigen hat Horkheimer in seiner Ärzte- und Medizinkritik seinen eigenen Tod vorweggenommen: Er starb 1973 an einer damals häufig praktizierten, die gesamten Körperfunktionen umfassenden Vorsorgeuntersuchung, die über seine Kräfte ging.