Liner Notes
Gespräche über das Büchermachen, Leipzig z.B.
Markus Dressen, Lina Grumm, Anne König, Jan Wenzel
Im Juni 2003 wurde in der Allgäuer Gemeinde Durach ein über hundert Jahre altes Buch mit dem Titel ‚Heiligen-Legende‘ gefunden. Lose und ohne eine erkennbare Ordnung befand sich zwischen den Seiten des Buches eine Sammlung von Zetteln, privaten Fotografien, Zeitungsausschnitten,Todesanzeigen und christlichen Drucksachen. Das Buch hatte der Bäuerin Walburga Wiedemann gehört. Nicola Reiter nahm es vierzig Jahre nach dem Tod der Bäuerin als Ausgangspunkt für eine eigene Recherche. Akribisch sicherte sie die eingelegten Fundstücke und befragte Dorfbewohner und Verwandte nach der Bedeutung dieser wenigen, oft etwas rätselhaften Spuren eines fremden Lebens. Auf diese Weise erfuhr sie einiges über den Dorfalltag im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit. Nicola Reiters ‚Positio‘ ist ein Spiel mit Rollen und Formaten, ihre Buchgestaltung ist integraler Bestandteil der Erzählung. Von Außen wirkt ‚Positio‘ wie ein Dossier oder eine Akte. Dieser amtliche Duktus setzt sich auch im Inneren fort: Die grün umrandeten Seiten erscheinen wie Vordrucke und die Typografie lässt an maschinengeschriebene Archivdokumente denken. Gerade aus dieser Kargheit aber gewinnt Nicola Reiters ‚Recherche anhand eines gefundenen Buches‘ ihre poetische Dichte.