Linzer Höhenrausch von Schneider,  Claus Dieter

Linzer Höhenrausch

Protokoll einer absurden Affäre

Familie, Job, fünfundzwanzig Elektrogitarren − und eine unstillbare Sehnsucht nach radikaler Veränderung. Da hilft nur mehr die Flucht. In einem alten Jeep.
Mit einer jungen Blondine. Ohne Plan. Ohne Geld. Doch Carl Anton Seiler bleibt auf Kurs. Schließlich ist er – der wahre Prinz von Linz.
Ein rasantes Lesevergnügen zwischen Pleschinger See, New York City und Pöstlingberg.

Mit zugeknöpftem Rock, den Dreispitz in die Stirn gedrückt, stehe ich breitbeinig an Deck einer historischen Fregatte. Das Schiff segelt an der New Yorker Freiheitsstatue vorbei, doch die Küste hinter dem berühmten Denkmal irritiert. Das muss Italien sein, bucklig und farbenfroh. Dazwischen ein an den Fels geklebtes Dorf. Vor der Hafenmauer schaukeln vertäute Fischerboote. Weiter oben, auf dem Flachdach der hellblau gestrichenen Hafenmeisterei, thront ein signalrotes Riesenrad. „Lady Liberty“ öffnet ihre Lippen. Kuckuck! Die absurde Szenerie verschwimmt. Aus dem Schlaf tauchend blinzele ich dem Kuckuck in seinem Schwarzwälder Uhrhäuschen an der Wand gegenüber zu. Halb neun Uhr abends. Am dreißigsten Dezember 2008. Dem Tag vor meinem neununddreißigsten Geburtstag.
Ich sollte los, in den Geburtstag hineinfeiern, den Jahreswechsel vorwegnehmen, privat älter werden, nicht mit der halben Welt. Meine Marotte. Es ist der dreißigste Dezember, der ohne Erwartungshaltung auskommt, der Raum für Überraschungen lässt. „Gasthof Auerhahn“ hieß es, ein paar Stunden zuvor, am Telefon, beim Rundruf, zum Treffpunkt der Clique. Die Kuckucksuhr. Das alte, prächtige, knarrende Schiff. Dieser surreale, hellblaue, signalrote Traum mitsamt dem Riesenrad am Dach, dem ich nachsinne, während ich in die Stiefel, in die Jacke schlüpfe.
Im ehemaligen Tanzsaal des traditionsreichen Wirtshauses „Auerhahn“ erwarten die eng stehenden Gäste den Beginn des letzten Rockkonzerts des Jahres. Neben dem Mischpult zwei bekannte Gesichter: Gustav und René. „Servus!“ Die „Bauernschlauen“ besteigen die Bühne, schütten einen rhythmischen Schwall Elektrizität ins Publikum. Gustav und René grinsen. Was? Gute Stimmung, viele Mädchen. Wo kommen die bloß alle her? Was? Die Band spielt zu laut. Mein Blick verfängt sich in den alten, funktionslosen Kronleuchtern an der stuckverzierten Decke. Sieht aus wie, irgendwie, etwas aus meiner Kindheit, der Sänger brüllt gegen das Lärmgewitter seines Gitarristen an, Gegenwart rückkoppelt zurück in mein Bewusstsein.
Mir wird heiß. Hintereinander rudern Gustav, René und ich im Leiberstrom zurück zur Gaststube. René, heute mit einer beatleesken Fantasieuniform verkleidet, bestellt Cola Wodka. Gustav Bier.

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