Lohnspreizung: Mythen und Fakten
Zunehmende Lohnungleichheit und Beschäftigungsprobleme in den OECD-Ländern haben Fragen der Lohnstruktur in den Mittelpunkt der ökonomischen und politischen Diskussion gerückt. Die Literatur hinsichtlich Ausmaß, Entwicklung sowie ihrer Ursachen und Beschäftigungseffekte ist in den letzten Jahren geradezu explodiert.
Das vorliegende Papier fasst deshalb die zentralen Ergebnisse zusammen. Es werden die wirtschaftswissenschaftlichen Grundlagen und Zusammenhänge diskutiert und es werden die empirischen Befunde zur Lohnspreizung nicht nur in Deutschland sondern auch in anderen OECD-Ländern, vor allem in den USA, dargestellt. Die Lohnstruktur in Deutschland wird insbesondere im unteren Lohnbereich als marktwidrig komprimiert, starr und beschäftigungsmindernd angesehen, weshalb ein weites Spektrum in Politik und Wissenschaft eine stärkere Spreizung der Löhne fordert. Es wird behauptet, dass die unteren Lohngruppen überproportionale Lohnsteigerungenerfahren haben, die sie aus Beschäftigung hinaus in Arbeitslosigkeit gedrängt haben. Zudem wird ein zu geringer Lohnabstand zwischen Transferzahlungen und niedrigeren Arbeitseinkommen behauptet – die sogenannte Armutsfalle – und die Senkung der Transfers gefordert. Entsprechend vehement werden gesetzliche Mindestlöhne abgelehnt.
Insbesondere die hohe und seit Mitte der 1990er Jahre nochmals gestiegene Arbeitslosigkeit unter gering qualifizierten Arbeitnehmern wird in Deutschland mit einer am unteren Ende komprimierten Lohnstruktur „erklärt“. Tatsächlich wird die Lohnspreizung in Deutschland unterschätzt. Die starke Zunahme der Lohnspreizung seit Mitte der 1990er Jahre ist bisher nicht zur Kenntnis genommen worden.
Generell ist die Debatte mehr normativ und theoretisch als empirisch und positiv geführt worden. Die wirtschaftspolitische Diskussion in Deutschland ist zu stark vom theoretischen Modell des perfekten Marktes dominiert, weshalb anekdotische Evidenz oftmals hinreichend für die Belegung der These einer komprimierten Lohnstruktur in Deutschland angesehen wird und dem widersprechende Forschungsergebnisse ignoriert werden. Eine Versachlichung der Diskussion um die richtige Lohnstruktur ist dringend geboten. In diesem Papier wird gezeigt, dass der unterstellte strenge Zusammenhang zwischen Löhnen und Beschäftigung starke theoretische Annahmen über den Marktkontext erfordert. Abweichungen vom idealisierten theoretischen Modell 3 haben fundamentale Änderungen der Zusammenhänge zur Folge. Die theoretische Indeterminiertheit erfordert eine gründliche empirische Analyse der Lohnstreuung und des Zusammenhanges von Lohnstruktur und Beschäftigung. Hierzu wertet das vorliegende Papier die vorhandene Literatur aus, wobei sowohl deutsche als auch internationale Veröffentlichungen berücksichtigt werden.