Maha Guru
Geschichte eines Gottes
Karl Gutzkow, Richard J. Kavanagh
Gutzkows erster Roman von 1833 spielt in Tibet und steht im Kontext
der damals modischen orientalistischen Literatur. Etwas Besonderes
lag jedoch in der Wahl des Schauplatzes Tibet, das für Europäer noch
relativ unbekannt war. Der Untertitel, den Gutzkow »Maha Guru« gab,
»Geschichte eines Gottes«, deutete die ethische Herausforderung an,
die im Lamaismus lag, in der Verkörperung des göttlichen Prinzips durch
einen sterblichen Dalai Lama. Aufregend für europäische Sittlichkeitsbegriffe
war die tibetanische Polyandrie, also die Ehe einer Frau mit
mehreren Männern: ein moralischer Stoff, den der Roman eng mit
seinem religiösen Thema verwebt.
Der Autor bezog sein Wissen aus einer Reihe von Quellen. Die eigene
Phantasie verwandelte dieses Material in ein Gesellschaftsporträt mit
Spitzen gegen die chinesische Führungsschicht und den Klerus, aber
auch mit Einfühlung in die Besonderheiten Tibets. Der Roman zeichnet
das Bild einer Kultur auf dem Säkularisierungsweg. Äußere Abhängigkeiten
sind dabei genauso im Spiel wie innere Machtverhältnisse und
individueller Ehrgeiz.
Eine Geschichte der Säkularisierung ist auch der Lebensweg der Titelgestalt.
Der Gott Maha Guru wird wieder zum Menschen: Seine Liebe
zu Gylluspa und zu seinem Bruder unterminiert seinen Status und wird
schließlich in einer Ehe zu dritt verwirklicht. Diese ›Menschwerdung‹ vollzieht
sich in sinnlicher und spiritueller Hinsicht. Maha Guru beendet sein
Dasein als Geläuterter in einem Zustand zwischen Diesseits und Jenseits.
Obwohl Gutzkow den jungdeutschen Diskurs zur Emanzipation der
Sinne in diesem Roman mitgestaltet, vereinnahmt er die Geschichte
Maha Gurus nicht für diesen Zweck. Die beobachtende Distanz wird
gewahrt, und der yogihafte Heilige, dem das Schlusskapitel gewidmet ist,
behält die ihm eigene kulturelle Differenz.