Marie Goslich: Ein Leben hinter Glas
Krystyna Kauffmann, Richard Reisen
Marie Goslich, 1859 in Frankfurt an der Oder geboren, arbeitete nach Umwegen zunächst
als »Schriftstellerin und Redakteurin«. Diese Berufsbezeichnung, die sich im
Berliner Einwohnerverzeichnis findet, wäre für eine Frau ihrer Zeit schon beachtlich
genug. Um ihre Reportagen eigenständig illustrieren zu können, erlernte Goslich
im Alter von 44 Jahren auch noch das Fotografenhandwerk und avancierte so zu einer
der ersten professionellen Fotografinnen überhaupt.
Ein Teil ihres lange verschollen geglaubten Nachlasses wurde 2008 in einem Gasthaus
in Geltow am Schwielowsee wiederentdeckt. Etwa 400 Glasnegative haben die
Wirren zweier Weltkriege bis heute überlebt.
Goslichs Arbeiten illustrieren vorwiegend soziale und gesellschaftliche Missstände.
In den zahlreichen, teils radikalen Artikeln, die sie schrieb und illustrierte, widmete
sie sich den Ursachen der Not und des Leidens. Wiederholt prangerte sie die Kluft
zwischen Arm und Reich an, porträtierte Wandervolk, Straßenverkäufer, Bettler, Lumpensammler
und Kesselflicker. Ihre Empathie gegenüber den ausgewählten Sujets
ist in jedem Bild sichtbar und macht ihre Fotografien zu ganz persönlichen und bewegenden
Aufnahmen.
Die Publikation macht Goslichs Werk 100 Jahre nach seiner Entstehung erstmals
umfassend verfügbar und feiert die Fotografin als mutige Pionierin und Grande Dame
des deutschen gesellschaftskritischen Fotojournalismus.