nachts
Roman
Gerlind Reinshagen
Wirklich – was soll man von Leuten halten, die von heute auf morgen ihr Leben auf den Kopf stellen? Die, anstatt zu schlafen, ganze Nächte vertelefonieren? Die, gegen alle Gewohnheit, ihre geheimsten Gedanken preisgeben, aber dennoch sich niemals sehen wollen?
Jemand hat sich verwählt. Statt aufzulegen beginnt er zu sprechen. Eine Verbindung entsteht, rein zufällig. Zwei Personen – ein älterer Arzt, eine junge Frau, Schneiderin, die beide ihre Arbeit lieben, doch im Verlauf ihrer Unterhaltungen anfangen, daran zu zweifeln. Die über das virtuelle Leben ihrer nächtlichen Gespräche lachen, doch gleichzeitig fürchten, verrückt zu sein. Oder dafür gehalten zu werden.
Was verbindet die beiden überhaupt? Ist es Freundschaft? Geistesverwandtschaft? Liebe – aber in welcher ihrer tausend Spielarten? Wie kommt es, daß sie dauernd streiten und dennoch nicht mehr auseinanderfinden? Es kann nicht einfach der Gewohnheit zuzuschreiben sein oder dem Hunger nach Abwechslung, nicht einmal ihrer geradezu lächerlichen Einsamkeit. Ist es die Angst der Jüngeren vor dem Leben? Die Angst des Älteren vor dem Tod? Der Kampf zwischen Alt und Jung bis aufs Blut? Die Fragen türmen sich mit der Zeit, aber solange gefragt, solange weitergesprochen wird, ist es, als könnte alles, was doch unaufhaltsam geschieht, eingeholt und zurückgehalten werden – wirklich?