Nachtschichtlamento
Semper Hannah
Hannah Semper beschreibt realitätsnah eine Nacht in der Klinik, die Aufgaben, die Nachtschwester Birgit meistert und was sie so alles mit und von ihren Patienten erlebt.
Es folgt eine Leseprobe:
Die Dämmerung legte sich über die Neuropsychiatrische „Station Morgensonne” der Ehrlich-Klinik, einem Privatspital in Wien.
„Es wird ruhiger werden. Du schaffst das schon!”, verabschiedete sich die letzte Krankenschwester des Tagdienstes und drückte ihre junge Kollegin Birgit Kolm kurz an sich. Birgit Kolm übernahm die Nachtschicht der Station Morgensonne, die eine Kapazität von 20 Betten aufwies. Sie hatte 19 Patienten zu betreuen, ein Bett war nicht belegt.
„Vergiss nicht, Birgit, hol dir Hilfe vom Zentralnachtdienst, wenn du es nicht alleine schaffst! Tschüüss!” Die Aufzugstüre schloss sich hinter der älteren Kollegin, die ihre Freude über den Dienstschluss nicht verbergen konnte. Birgit stand unschlüssig da. Wo sollte sie anfangen? 19 Patienten, davon zwei Pflegefälle, denen die Kraft fehlte, alleine aufzustehen, Parkinson-Patienten, an Demenz Erkrankte und Depressive. Es waren Infusionen zum Herrichten und Anhängen, Medikamente zu verteilen, bettlägerige Menschen zu versorgen und bürokratische Schreibarbeiten über die ganze Nacht verteilt zu erledigen. Eine Patientenglocke unterbrach ihren Gedankengang. Birgit eilte in das Zweibettzimmer und wollte sich erst bei den beiden Bewohnerinnen vorstellen.
„Guten Abend. Ich bin Schwester…”
„Ich brauche ein Schlafmittel. Ich hab’ letzte Nacht kein Auge zugedrückt und halte
das nicht noch einmal durch. Meine Nachbarin lässt die halbe Nacht das Licht brennen
und räumt ununterbrochen in ihren Sachen herum. Ich weiß nicht, was sie die ganze
Zeit sucht. So kann das nicht weitergehen. Ich brauche meine Ruhe. Ich bin hier, um
meine Ruhe zu finden und werde nur noch nervöser. Wenn das kein Ende findet, dann
werde ich …”
„Frau Mostheimer, ich …”
„Ich halte das nicht mehr aus …” Frau Gertrud Mostheimers Wangen röteten sich zunehmend, und ein Weinkrampf begann sie zu schütteln.
„Frau Mostheimer. Bitte beruhigen Sie sich. Ich bringe Ihnen sofort ein Schlafmittel …”
„Was hat denn meine Nachbarin? Die ist ja net ganz normal, oder? Ich kann net schon um 20 Uhr das Licht abdrehen. Wenn´s ihr net passt, kann´s ja in ein Einbettzimmer gehen. Ich bin ja auch net gsund. Sie kann ja auf mich auch Rücksicht nehmen, stimmt’s net, Schwester?” Frau Maria Wallner, die im gleichen Zimmer lag, versuchte Birgit auf ihre Seite zu ziehen.
…