Neue Risiken – Neue Regeln von May,  Stefan

Neue Risiken – Neue Regeln

Risikopolitische Entscheidungskonflikte reflexiver Modernisierung

Der Prozess des biomedizinischen Fortschritts schafft Unschärfen, Kontingenzen und Entscheidungsdilemmata am Anfang und Ende menschlichen Lebens. Einerseits differenzieren sich unter dem Einfluss der Fortpflanzungsmedizin die frühen Entwicklungsstadien menschlichen Lebens, in deren Folge dann über deren Eigenschaften und Status entschieden werden muss. Andererseits vervielfältigt und differenziert sich das Ende menschlichen Lebens: Dauerhaft Komatöse, Teilhirntote, Ganzhirntote, Herztote machen die Frage unabweisbar, was jeweils für sie getan werden muss und was mit ihnen getan werden darf. Aber nicht nur das Verhältnis des Einzelnen zu seinem je eigenen Leben, auch die Beziehungen zwischen den Menschen unterliegen den weitgehenden Konsequenzen des biomedizinischen Fortschritts. Denn im Zeitalter der reproduktionsmedizinischen Möglichkeiten werden institutionelle Grenzziehungen und die mit ihnen verbundenen kulturellen und sozialen Praktiken pluralisiert und neuen Entscheidungserfordernissen ausgesetzt. Die Entscheidung, wann jemand ‚Mutter‘ und ‚Vater‘ genannt zu werden verdient und welches Kind als ‚eigenes‘ anzusehen ist, ist im Zeitalter der reproduktionsmedizinischen Möglichkeiten oftmals schwer zu treffen. Die mit dem biomedizinischen Fortschritt wachsende Macht, über den eigenen Körper zu verfügen, lässt in der Folge soziale Rollen, Institutionen und Praktiken in einem ganz neuen Licht erscheinen. Diese institutionellen Nebenfolgen des biomedizinischen Fortschritts werden in der vorliegenden Studie in fünf Untersuchungseinheiten einer genaueren Analyse unterzogen.
In einer ersten professionssoziologischen Untersuchungseinheit wird nach den Folgen humangenetischen Wissens für die Institution der medizinischen Profession gefragt. Sie diskutiert, in welcher Form die Genetifizierung der Medizin zum einen das Verständnis von Krankheit und Gesundheit verändert, zum anderen bisherige professionspolitische Strukturen und Routinen transformiert. Dabei sind es nicht nur die kognitiven Ungewissheiten humangenetischen Risikowissens, sondern auch die durch dieses Wissen hervorgerufenen normativen Unsicherheiten, die das Bild und Selbstverständnis der ‚klassischen medizinischen Profession‘ verändern.
Eine zweite rechtstheoretische Untersuchungseinheit untersucht dann einen möglichen Rechtsformenwandel subjektiver Rechte infolge der biomedizinischen Entwicklungen. Einerseits entstehen im Gefolge der Pränatalmedizin und der Reproduktionstechnik neue Rechtssubjekte, andererseits expandieren die wechselseitigen Schutzansprüche dieser Rechtssubjekte und führen zu neuen Konfliktlinien zwischen ‚Schutzrechten‘ und ‚Optionsrechten‘ bzw. zwischen ’neuen‘ Persönlichkeitsrechten und ‚alten‘ Eigentumsrechten.
Daher werden die Herausforderungen, welche möglichen Entscheidungsverfahren modernen Gesellschaften zur Verfügung stehen, um auf diese Paradoxien und Dilemmata angemessen zu reagieren, in einer dritten rechtssoziologischen Untersuchungseinheit in der Diskussion zweier einschlägiger Konzepte skizziert: der Theorie des kommunikativen Handelns von Jürgen Habermas sowie der Theorie autopoietischer Systeme von Niklas Luhmann. In beiden Ansätzen spielen Verfahren zur Erzeugung und Anwendung rechtlicher Normen eine maßgebliche, wenn auch unterschiedlich konzipierte Rolle. Am Beispiel medizinischer Ethikkommissionen fragt diese Untersuchungseinheit danach, wie die Bedingungen und Möglichkeiten einer Institutionalisierung ‚reflexiven Rechts‘ näher ausgestaltet sein müssten.
Eine vierte rechtsempirische Untersuchungseinheit konkretisiert die rechts- und steuerungstheoretischen Überlegungen zum Grundrechtsschutz am Beispiel der Sterbehilfe. Sie diskutiert das Erfordernis eines Konzepts prozeduraler Differenzierung, um die spezifischen normativen Besonderheiten der Biomedizin zu strukturieren.
Die verfassungspolitisch angelegte fünfte Untersuchungseinheit thematisiert dann einige verfassungssystematische Aspekte. Sie fragt danach, ob es der Institution der modernen Verfassung noch hinreichend gelingt, die mit der Biomedizin einhergehende ‚Existenzialisierung des Politischen‘ sowie die hieraus resultierenden Entscheidungsdilemmata in ihren Entscheidungsverfahren zu rationalisieren und zu verfassen?

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