NICHT OHNE DEINE NÄHE. Empathisch begleitet im Geiste Jesu Christi
Projekt und Modell - Praxisbegleitung - Prävention - "Amoris Laetitia" - Katharina von Siena
EINFÜHRUNG
„Nicht ohne deine Nähe“: Die Bandbreite der Blickwinkel – Projekt und Modell, Psychologie, Theologie, „Amoris Laetitia“ und Mystik – in dem Ihnen, sehr geschätzte Leserinnen und Leser, hier vorliegenden Buch darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass nach meiner Überzeugung wahre Begleitung und Heilung von Menschen einzig in einer gelebten, lebendigen Beziehung zu Gott, zu Jesus Christus möglich ist. Nur Gott vermag dauerhaften Frieden zu schenken und die innere Leere im Menschen auszufüllen. Wir dürfen nicht der Versuchung unterliegen, die Bedeutung der Christusbeziehung neben den unterschiedlichen pastoralen Ansätzen und den inzwischen hochentwickelten Therapieangeboten zu vernachlässigen. Ohne ein Transzendieren unserer Bemühungen auf Gott hin, den Geist Christi, den Geist der Ewigen Wahrheit, bliebe alles menschliche Tun labiles Stückwerk.
Aufgerüttelt durch Medienberichte über gravierende Folgeerscheinungen des Abgeschottetseins und der Vereinsamung während der Corona-bedingten Besuchssperren, wie sie uns vor allem aus Seniorenheimen und Krankenhäusern vor Augen geführt wurden, sind mir nach Jahren wieder weitgehend abgesonderte Heimkinder in den Sinn gekommen, mit denen ich einst gearbeitet habe. Einzelne Jugendliche habe ich später in Eigeninitiative weiter betreut, auch in Haftanstalten, und einen retardierten, jugendlichen Küchenarbeiter, hier „Markus“ genannt, sechs Jahre lang in einer vielleicht einzigartigen Verbindung betreut und vor der damals bereits beschlossenen Entmündigung („Besachwaltung“) bewahrt.
Nur wenige Jahre danach ausführlich zu Papier gebracht, habe ich auf die wahre Geschichte von „Markus“ und mir, „Irene“, aus den Jahren 1978-1984 erneut zurückgegriffen, sie in Kapitel I. als narrativ-theologische Fallstudie, nur geringfügig überarbeitet, und mit einigem Bildmaterial versehen dokumentiert. Damit ist es auch möglich geworden, Empathie als Wagnis einem konkreten Charakterbild zuzuordnen. Anfangs hatte ich noch überlegt, meinen Bericht etwas zu kürzen, diesen Gedanken jedoch bald wieder verworfen, um ausreichend Authentizität zu gewährleisten und Sie, meine sehr geschätzten Leserinnen und Leser, unverfälscht in die ursprüngliche Atmosphäre des Geschehens in der „Josefsehe“ einzubeziehen. Zugleich wird damit die Entstehungsgeschichte eines Modells „Betreute Wohngemeinschaft“ sichtbar, das mittlerweile nicht nur in unseren Breiten zum sozialpädagogischen Alltag zählt, nochmals kurz resümiert in Kapitel II.
Kapitel III. gibt einen fundierten Überblick über die Symptomatik als Folge eines Entzugs an Zuwendung. Deprivation bzw. Entwicklungsretardierung wird veranschaulicht und in Abschnitt III.1.4. die vielfältige Symptomatik von Hospitalismus am Beispiel „Markus“ aufgefächert. Konkrete Ansätze zu einem empathischen Umgang mit psychisch beeinträchtigten Menschen, vor allem Kindern und Jugendlichen, auch in der Pfarrgemeinde, sowie ein kurzer Einblick in den Begriff der „Weggemeinschaft“ in der Integrativ-christlichen Therapie von Alfred Adler ergänzen den Praxisbezug des Buches in diesem Kapitel.
Die Frage der Prävention beschäftigt zunehmend auch Verantwortliche in der Kirche, in Krankenhäusern und Altenheimen, in Familien, Pflegefamilien, Kindergärten, Schulen und Haftanstalten. Mit freudiger Überraschung habe ich festgestellt, dass das bisher zu wenig beachtete, weil meist nur kurzgelesene Nachsynodale Apostolische Schreiben „Amoris Laetitia“ von Papst Franziskus so umfassende Ansätze dazu bietet, dass es sich lohnte, es für dieses Buch heranzuziehen. Daneben habe ich aus Ihren Wortmeldungen, liebe Leserinnen und Leser, erfahren, dass es vielen in der Kirche schlicht aus Zeitmangel nicht möglich ist, Amoris Laetitia ausreichend zu studieren, obwohl das Interesse
vorhanden wäre. Deshalb bringe ich Ihnen hier in Kapitel III.3. eine Kurzzusammenfassung aller Passagen in dem päpstlichen Dokument zum Thema Familie, die für eine Vorbeugung von Scheitern relevant sind, und dies auf überschaubaren 20 Seiten.
Als spirituell hochkarätiges Kleinod entpuppt sich in Kapitel III.4. Empathie als „von oben eingegossene Wissenschaft“ in der Mystik von Katharina von Siena, Kirchenlehrerin und Europapatronin. Den Urgrund der Liebesbeziehung zwischen Schöpfer und Geschöpf erhellend, hat mich Katharina dazu bewogen, Empathie als „Seele der Nächstenliebe“ zu begreifen und zu definieren.
„Amoris Laetitia“ nochmals aufgegriffen, hat das päpstliche Schreiben – Unkenrufen zum Trotz – nach anfänglicher Ernüchterung doch eine Lösung für den Sakramentenempfang für Wiederverheiratete Geschiedene eröffnet, weit über die ins Auge springenden Fußnoten 329, 336 und 351 in Punkt 300 hinaus. Im folgenden Kapitel IV stelle ich deshalb als „Exkurs“ die aktuelle kirchenrechtliche Lage des Begriffs „Josefsehe“ vor, früher der einzige kirchenrechtlich gesicherte Zugang zu den Sakramenten Buße und Kommunion für Betroffene. An eine kritische Betrachtung der Josefsehe aus empirischer und psychoanalytischer Sichtweise schließt also auch hier ein pointierter Einblick in Amoris Laetitia an – mit durchaus erfreulicher Schlussfolgerung: Volle Integration im kirchlichen Leben auch für Wiederverheiratete Geschiedene und ihre Kinder.
Danach habe ich mir erlaubt, in einem „zweiten Blick“ noch kurz auf jene Passagen des päpstlichen Schreibens hinzuweisen, in die meine jahrzehntelange Pionierarbeit – in den vorbereitenden Bischofssynoden präsent – definitiv eingeflossen ist.
Ich beende dieses Buch mit einem „Ausblick“: Meiner Überzeugung nach ist es unumgänglich, die pastoralen Entscheidungen zugunsten des Sakramentenempfanges bei Wiederverheirateten Geschiedenen auch festzuschreiben und abzusichern in meinem Ansatz einer „Dokumentierten pastoralen Regelung zum Sakramentenempfang bei Wiederverheirateten Geschiedenen“.
Nun aber lassen Sie sich, liebe Leserinnen und Leser, vorerst hineinnehmen in mein – wie ich meine, auch spannendes – „Projekt Markus“! Thematisiert sind Heimerziehung versus Wohngemeinschaft (hier als „Josefsehe“ gelebt), Hospitalisierungssymptomatik, wie sie sich im praktischen Alltag manifestiert, religiöse Motivation und spirituelle Erfahrung (Therese von Lisieux), Bildsamkeit und Heilungschancen, Integration, Förderung und Überforderung, Fortschritte und Misserfolge, Berechenbarkeit und Gefahrenpotential bei Hospitalismus, ganzheitlicher Einsatz und Grenzerfahrung.