Not, List und Lust
Schostakowitsch in seinem Jahrhundert
Bernd Feuchtner
Verblendet durch Nationalismus und Rassismus, jagte das 20. Jahrhundert die Völker Europas in einen verheerenden Weltkrieg. Nur in Russland gelang es den Arbeitern und Soldaten, die Regierung zu stürzen und den Krieg zu beenden. In den meisten anderen Ländern verbündeten sich Industrie, Militär, Adel und Kirche mit dem Faschismus, um sich der organisierten Arbeiterschaft entgegenzustellen. Damit war ein zweiter Weltkrieg unausweichlich, der die Menschheit in noch größeres Elend stieß. Hatten die Künstler am Beginn des Jahrhunderts noch die Luft der Freiheit gewittert und die Tür zur Moderne aufgestoßen, wurde ihre Stimme im politischen Kampf immer schwächer. Faschisten wie Kommunisten sahen in den Künsten nur Mittel der Propaganda. Freie Kunst wurde mit härtesten Mitteln unterdrückt. Der russische Komponist Dimitri Schostakowitsch war beim Aufbruch der Avantgarde dabei und erhielt bei der Gleichschaltung der Künstler einen Schlag, der eine nie heilende Wunde hinterließ. Da er kein Kommunist sein wollte, wurde er unfreiwillig zum Zeitzeugen, der in seiner Musik die Wahrheit über das Leben in Russland aufzeichnete. Seiner wahren Musik standen seine offiziellen Äußerungen als Oberhaupt der sowjetischen Komponistenschule gegenüber, die dazu beitrugen, dass seine Musik westlich vom Eisernen Vorhang nicht verstanden wurde. Bernd Feuchtner wirft von verschiedenen Seiten ein neues Licht auf Schostakowitsch, wobei vor allem dessen Beziehung zu Musikern wie Britten, Mahler, Hindemith, Prokofjew, Strawinsky, Eisler und auch Theodor W. Adorno erhellend wirkt. Neu in der 2. Auflage sind Texte zu den erbitterten „Shostakovich Wars“ in der angelsächsischen Literatur, zur Mehrdeutigkeit von Schostakowitschs Neunter, zur Bedeutung der Briefe des jungen Schostakowitsch an Sollertinski und – als Antwort auf den russischen Chauvinismus – die Einordnung Schostakowitschs als Europäer.