Ouvertüre zum Abschied
Wolfgang Hovestädt
“Gestern Abend um zehn nach sieben ist meine Mutter gestorben. Ich habe sie gehasst”, lautet die erste Zeile im Roman und führt damit abrupt und ohne Vorwarnung mitten hinein in das Geschehen, das sich auf zwei Ebenen abspielt. Der Ich-Erzähler Robert Stein, der sich selbst als kleiner Anwalt ohne große Ambitionen charakterisiert, „verarbeitet“ den am Vorabend miterlebten Tod seiner Mutter, der einst berühmten Konzertpianistin Edelgard Horritz, in einem Gespräch mit einem (imaginären) Gegenüber, den er per Zufall in einem Café getroffen zu haben glaubt. Stein behauptet, seine Mutter gehasst zu haben.
Er belegt seine für ihn unumstößliche These mit mannigfaltigen Beweisen. Er denkt, seine Mutter genau zu kennen, und glaubt, dass sie ihre Künstler-Karriere in den Vordergrund gestellt und ihn dabei vernachlässigt hat. Er meint weiterhin, dass sie ihm bewusst seinen leiblichen Vater vorenthalten hat. Letzteres findet er unverzeihlich. Schon alleine deshalb könnte er sie verachten. Aber welcher Grund letztlich der entscheidende war, sie abzulehnen, gar zu verschmähen, ist für ihn nicht mehr wichtig, zumal er der Überzeugung ist, dass sie ihn in eine Laufbahn als Musiker drängen wollte, in der Hoffnung, dass aus ihn etwas Besonderes wird, praktisch als eine Fortsetzung ihres Lebens. Stein sträubt sich mit der ganzen Energie seines jungen Lebens gegen dieses Anliegen seiner Mutter.