Papst Alexander II. (1061-1073) und die römische Reformgruppe seiner Zeit
Tilmann Schmidt
Die Reformbewegung des 11. Jahrhunderts erhält durch Papst Gregor VII. (1073-1085) in der Auseinandersetzung mit dem Königtum ihre dramatische Signatur, und bereits der vorausgehende Pontifikat Alexanders II. (Anselm von Baggio) steht bei Mit- und Nachwelt im Schatten des Archidiakons und späteren Papstes Hildebrand-Gregor VII. Seine erste Prägung erfuhr Anselm-Alexander II. als Angehöriger des Adels und der hohen Geistlichkeit Mailands, die im Ausgleich von Kaiser und Papst die Chance zu eigener Selbständigkeit sahen. Als unzutreffend stellt sich heraus, daß Anselm Initiator der revolutionären Volksbewegung der Pataria, weiterhin Schüler Lanfrancs von Canterbury und Kaplan am deutschen Königshof gewesen sei.Im Zusammenwirken von Kaiser, Papst und toskanischem Herzog erhielt Anselm 1057 das Bistum Lucca. Mit seinen Maßnahmen zur Intensivierung der Heiligenverehrung, der Fürsorge für Priesterschaft und Kirchengut steht er in der Tradition der vor ihm einsetzenden Reorganisation der Kirche Mittel- und Norditaliens. Doch nicht in Lucca, sondern im Dienst für die römische Kirche lag der Schwerpunkt seiner Tätigkeit. Hauptereignisse sind seine Gesandtschaftsreisen nach Deutschland: In den aufbrechenden Konflikten zwischen Königshof und Papst kam Anselms Gabe, zu vermitteln und auszugleichen, zur Geltung.In dieser Haltung liegt Anselm-Alexanders II. Papsttum begründet. Nicht Gegnerschaft zum Königtum, sondern die Absicht, nach vorausgegangenen Zerwürfnissen einzulenken, führte die Reformgruppe um Hildebrand zu seiner Wahl. Vor allem römische Adelskreise leisteten gegen den Papst der Reformer, wie auch schon gegen seine Vorgänger, Widerstand. Neu war 1061, daß die gegen das von Nichtrömern getragene Reformpapsttum gerichtete Opposition aus ihrem städtischen Rahmen heraustrat und sich bei oberitalienischen Bischöfen und der deutschen Regierung Verbündete suchte.Unterschiedliche Interessen dieser Gruppen sowie starker Druck des Herzogs der Toskana bewirkten aber, daß das Gegenpapsttum des Cadalus`von Parma Episode blieb. Die Statur des Papstes ist im Verhältnis Alexanders II. zur Reformgruppe zu erkennen. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Nikolaus II. hat Alexander II. kaum den Versuch gemacht, sich mit Männern seines Vertrauens ein Gegengewicht gegen die römische Reformgruppe zu schaffen. Vielmehr setzte er sein schon früher geübtes, auf Unterordnung abzielendes Verhalten gegenüber dem Reformerkreis fort. In der Gegenüberstellung des Papstes mit den wichtigsten Mitgliedern dieser Gruppe, Petrus Damiani und Hildebrand, erscheint er als milder, auf episkopale Würde und Unantastbarkeit bedachter Papst, dem die Rigorosität eines Hildebrand fehlte. In der Abfolge der Pontifikate der Reformpäpste ist Alexanders II. Regierung die Zeit, in der der Einfluß der älteren, kollegialisch handelnden Reformgruppe nachließ und Hildebrand immer stärker in den Vordergrund trat. In einem Anhang werden die Spuren des zu Anfang des 13. Jahrhunderts verlorengegangenen Registers Alexanders II. verfolgt.