Religiöser Pluralismus oder christliches Abendland?
Herausforderung an Kirche und Gesellschaft
Reinhart Hummel
Die interreligiöse Begegnung, von manchen euphorisch begrüßt, von anderen ängstlich gemieden, wirft im säkularisierten, religiös ohnehin verunsicherten Europa besondere Probleme auf. Kirche und Gesellschaft benötigen eine sorgfältige Analyse und realistische Einschätzung der damit gegebenen Chancen und Konfliktpotentiale. Religionswissenschaft, Kulturwissenschaften und vor allem Theologie haben dazu ihren Beitrag zu leisten. Früher als die Kirchen hat die »interreligiöse Bewegung« seit dem Weltparlament der Religionen 1893 in Chicago diese Herausforderung begriffen.
Zunächst bedürfen die konkrete Religionsvielfalt und die damit gegebenen Probleme einer Darlegung. Um Multikulturalität und Menschenrechte geht es im Zusammenleben mit dem überwiegend türkisch-ethnischen Islam, während die Begegnung mit den Religionen des Ostens vor allem eine spirituelle Herausforderung darstellt. Neureligiöse Bewegungen stellen erneut die Frage nach den Grenzen von Dialog und Toleranz.
Die moderne Religionsvielfalt ist nicht durch globale Dialogappelle und religionstheologische Entwürfe zu bewältigen, sondern nur durch ein Miteinander von guter Nachbarschaft, dialogischer Offenheit und Aushalten der Wahrheitskonkurrenz. Interreligiöser Realismus fordert, dass auch die Stellung der Partner zu Pluralismus und Christentum als mitbestimmender Faktor im Dialog ernst genommen wird. Die Identität des Christlichen muss in den synkretistischen Prozessen der Gegenwart dialogisch durchgehalten, ihrer Verunsicherung muss mit christlicher Orientierung im religiösen Pluralismus begegnet werden.