Signalverarbeitung mittels Zellularer Nichtlinearer Netzwerke in der Medizintechnik: Untersuchungen zur Vorhersage epileptischer Anfälle
Vanessa Senger
Epilepsie ist eine der häufigsten chronischen neurologischen Krankheiten weltweit. Ca. 70 Mio. Menschen leiden an einer der vielen verschiedenen Formen von Epilepsie. Obwohl die Krankheit für viele Patienten gut behandelbar ist – sei es medikamentös, sei es durch eine Form der Stimulation oder andere Ansätze – leiden dennoch viel Patienten an einer so starken Form, dass Sie ihre Lebensqualität nachhaltig und dauerhaft beeinträchtigt sehen. Auch psychische Erkrankungen sind unter Patienten, die an Epilepsie leiden, signifikant häufiger als in der Gesamtbevölkerung.
Die für die meisten Patienten mit Abstand wesentlichste Eigenschaft der Krankheit ist das plötzliche Auftreten der typischen Anfälle: Die Unsicherheit, wann ein Anfall auftritt, und ob, lässt die Planung von Alltag und Tagesablauf oft als sinnlos erscheinen. Die Patienten ziehen sich in schlimmen Fällen aus Angst vor Verletzungen sowie der Reaktion des Umfelds zurück und verlassen den unmittelbaren häuslichen Bereich nicht mehr.
Die Vorhersage epileptischer Anfälle mit dem Ziel der Warnung des Patienten oder – als ultimatives Ziel – der Invervention durch gezielte elektrophysiologische Stimulation betroffener Hirnregionen oder Medikamentengabe könnte für diese Patienten die schrittweise Rückkehr in ein ”normales” Leben ermöglichen: Die Gewissheit, über ein Zeitfenster von nur einigen wenigen Stunden keinen Anfall zu erleiden, würde die Lebensqualität genauso verbessern wie die Sicherheit, vor einem Anfall eine rechtzeitige Warnung zu erhalten.
Die Vision, eine solche Anfallswarnung mittels natur- und ingenieurwissenschaftlicher Methoden speziell aus Signal- und Informationstheorie zu realisieren, wird seit Anfang der 70er Jahre von einer internationalen und interdisziplinären Gemeinschaft von Forschern verfolgt. Dabei wurde eine Vielzahl äußerst vielversprechender Ansätze aufgezeigt, die anhand der Aufzeichnungen einiger weniger Patienten analysiert wurden. Trotz dieser langen Zeitdauer und umfassender Untersuchungen ist die technische Verwirklichung dieser Vision bis jetzt noch nicht zufriedenstellend gelungen.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Insbesondere die Bestätigung vielversprechender Ansätze anhand der Aufzeichnungen eines größeren Patientenkollektivs gelingt oftmals nicht. Auch wenn im Zuge der immer engeren Zusammenarbeit der verschiedenen Forschungsgruppen die Anzahl und Qualität der verfügbaren Aufzeichnungen hirnelektrischer Aktivität sowie ihre Annotation mit Patientenaktivitäten, Medikamentenspiegeln und weiteren Informationen immer besser wird, bleiben die in ihrer Länge und ihrem Umfang begrenzten Aufzeichnungen eine zusätzliche Herausforderung bei der Entwicklung solcher Methoden: Die Anzahl und Platzierung
der für die Aufzeichnung notwendigen Elektroden wird von diagnostischen Notwendigkeiten vorgegeben. Obwohl seit kurzem auch umfassende und lange Aufzeichnungen beispielsweise aus Studien mit implantierbaren Systemen verfügbar sind, erschweren unvermeidbare Artefakte, Unterbrechungen und die diagnostische Ausrichtung der Aufzeichnung die Untersuchung. Umfassende statistische Verifikationen sind unter diesen Umständen schwierig. In dieser Arbeit sollen aussichtsreiche Ansätze zur Realisierung eines Anfallswarnsystems basierend auf Signalprädiktion anhand eines größeren Patientenkollektivs ausführlich analysiert und darauf aufbauend Ansätze zur Verbesserung entwickelt werden. Dadurch kann ein zukünftig wichtiger Schritt hin zu echten prospektiven Studien zur Leistung solcher Methoden an echten Patienten geleistet werden.
Dabei soll insbesondere die mögliche Implementierung solcher Ansätze in einem miniaturisierten Anfallswarn- und Interventionssystem berücksichtigt werden. In den letzten Jahren wurde eine Vielzahl energieeffizienter Plattformen und schaltungstechnischer Implementierungen von Datenverarbeitungsparadigmen vorgeschlagen und in der Tiefe evaluiert. Sogenannte Zellulare Neuronale Netze (CNN, engl. Cellular Neural Network) sind aus einzelnen Recheneinheiten – den Zellen – aufgebaute komplexe Rechensysteme. Ihre Grundbausteine sind dabei vergleichs- weise einfach aufgebaute dynamische Systeme mit Eingang, Ausgang und Zustand. Anders als beim klassischen neuronalen Netz wechselwirken die Zellen eines CNNs ausschließlich lokal mit Zellen, die in einer räumlichen Anordnung als benachbart definiert werden.
Trotz dieses vergleichsweise einfachen Aufbaus, der schaltungstechnisch effizient implementiert werden kann, zeichnen sich CNN- Architekturen durch äußerst hohe Rechenleistung bei niedriger Energieaufnahme aus. Dies macht CNN auch zu einer vielversprechenden Basis für die Realisierung miniaturisierter Anfallswarnungs-Systeme: Beschreibt dies doch grundlegende Anforderungen an ein solches System. Dazu muss am Anfang eine Analyse der mathematischen, physikalischen und medizinischen Grundlagen der Problemstellung erfolgen. Dies umfasst nicht nur die als Basis der Signalprädiktion herangezogenen Zellularen Neuronalen Netze , eine Einführung in stochastischer Prozesse sowie die statistische Bewertung von Ergebnissen; sondern auch eine Analyse des Krankheitsbilds ”Epilepsie” sowie des Stands der Forschung zu Behandlung, Diagnose und Anfallsvorhersage. Um die Untersuchungen einordnen zu können, werden intrakranielle Aufnahmen hirnelektrischer Aktivität analysiert, die im Rahmen prächirurgischer Untersuchun- gen vor chirurgischen Eingriffen mit dem Ziel der Anfallsvermeidung entstanden, analysiert. Auch hier wird vor der detaillierten Analyse der Aufnahmen zunächst eine allgemeine Untersuchung der grundlegenden Eigenschaften solcher Aufzeichnungen durchgeführt werden.
Danach soll zunächst die ausführliche Analyse eines zuvor entwickelten Verfahrens zur Anfallswarnung und Signalprädiktion erfolgen. Dazu wird ein vorhandenes Patientenkollektiv von insgesamt 20 Patienten mit unterschiedlichen Formen fokaler Epilepsie mittels des Verfahrens untersucht. Dies bietet die Grundlage und Motivation für weitere Arbeiten: Die Herleitung dreier Ansätze zur Verbesserung von Sensitivität und Spezifizität der bisherigen Anfallswarnung basierend auf Signalprädiktionsalgorithmen sowie deren Diskussion. Potentiell vielversprechende Ansätze umfassen eine Analyse der Kopplungsstruktur mittels Signalprädiktion durch Synchronitätsmaße oder Methoden der Quellentrennung. Weitere vielversprechende Ansätze liegen in der Extraktion von Informationen über statistische Signaleigenschaften sowie in einer Kombination dieser Ansätze.
Am Ende der Untersuchungen wird eine Evaluation der Performance der einzelnen Ansätze für sich, sowie eine Diskussion der Leistungsfähigkeit, der Möglichkeiten und der Grenzen eines solchen Verfahrens stehen.