Sokrates über Politik und Ironie
Andreas Brüschweiler
In der zeitgenössischen Politik gilt der Leitsatz „Ironie wird nicht verstanden“. Dementsprechend werden Politiker von ihren Beratern davor gewarnt, in ihren Reden sowie in politischen Diskussionen auf das Stilmittel der Ironie zurückzugreifen, um die Gefahr von Missverständnissen beim Publikum zu vermeiden. Der Leitsatz, dass Ironie nicht verstanden wird, gilt indes nicht nur für die zeitgenössische Politik, sondern auch für die Philosophiegeschichte, denn obwohl Sokrates für seine sprichwörtlich gewordene Ironie bekannt ist, wird von der herrschenden Lehre bis heute bei der Interpretation des Dialoges Politeia den ironischen Elementen überhaupt nicht Rechnung getragen.
Dementsprechend wird die Politeia den Schülern und Studenten als angeblichen „Idealstaat Platons“ präsentiert, in welchem insbesondere rücksichtslos eugenische Massnahmen nach spartanischem Vorbild praktiziert und die Staatsbürger von den politischen Führern bewusst belogen und getäuscht werden sollen. Ziel des vorliegenden Werkes ist, durch den Einbezug des Kontextes des Dialoges Politeia und seiner historischen Hintergründe im Detail – d.h. unter Einbindung des gesamten Dialogtextes – aufzuzeigen, dass dieses Gespräch in einem ganz anderen Licht erscheint, wenn man bei seiner Interpretation die sprichwörtlich gewordene sokratische Ironie weder ausser acht lässt noch missversteht.