Soziale Proteste in Lateinamerika
Bolivars Erben im Kampf um Eigenmacht, Identität und Selbstbestimmung
Torben Ehlers
Das Ende der unabhängigen Industrialisierung in Lateinamerika Anfang der 1980er Jahre bedeutete für viele Staaten eine grundlegend neue „Entwicklungsstrategie“. Unabhängigkeit wurde zugunsten exportorientierter, für die westlichen Industrieländer entgegenkommender Politik durch den „Washingtoner Konsens“ ersetzt. Gesamtwirtschaftliche, gemeinwohlorientierte Maßnahmen, besonders gegenüber ausgegrenzten Bevölkerungsteilen, wurden vernachlässigt. Es kam zu langfristigen Verschiebungen der Klassen, Milieus und Schichten in den Gesellschaften. Das bedeutete Arbeitslosigkeit durch Entlassungswellen, Ausbreitung informeller Arbeitsstrukturen und Vergrößerung von Armut.
Es ist zwar eine „Reform“ des kapitalistischen Paradigmas in diversen Staaten Lateinamerikas angeregt worden; die „neokeynesianische“ Strategie einer stabilen Wirtschaftsentwicklung verfolgt aber nur einen unvollständigen Neoliberalismus.
Vorgesehen ist eine Stärkung der Institutionen, ohne aber an den kapitalistischen Subjektivierungsmechanismen (Individualisierung, Konsumorientierung, Eigenverantwortlichkeit, Atomisierung gesellschaftlicher Sozialgefüge usw.) etwas verändern zu wollen. Die Wiederherstellung bzw. Schaffung von sozialen Netzen, Reparaturen vernachlässigter oder zerstörter Infrastruktur, Wiederaufwertung des Bildungswesens und die Reaktivierung des Landwirtschaftssektors sind eine Ergänzung des „Washingtoner Konsens“, nicht aber eine Ersetzung oder Überwindung.
Die Anthologie fokussiert mit Beiträgen über Mexiko, Guatemala, Bolivien, Ecuador, Kolumbien, Venezuela, Chile, Brasilien, Argentinien, Kuba und Jamaika auf die aktuellen Veränderungen in der Sozialstruktur der jeweiligen Gesellschaft und schaut „von unten“, wie sich „Fortschritt“ in Lateinamerika manifestiert.