Sphinx Beckmann
Exemplarische Annäherungen an Max Beckmanns Kunst
Helmut G Schütz
Über Max Beckmann und seine Kunst sich zu äußern, bedeutet heute landläufig, einen Künstler-Philosophen und sein schwer zugängliches Werk zu beschwören. Jedoch helfen derlei Gemeinplätze weder dem Forscher noch dem ambitionierten Laien angesichts eines Originals. Selbst wenn im Gegenzug das eine oder andere ikonografische Fenster aufgestoßen wird: Es bleibt die einschüchternde Ehrfurcht vor der übermächtigen Größe eines künstlerischen Titanen und der inkommensurablen Qualität seines Werkes. Trotz aller Vorurteile – auch der gut gemeinten positiven – sollten wir uns ermuntert fühlen, uns sehend, einfühlend, fragend und analysierend singulären Werken der bildenden Kunst zu nähern, um uns diese in mehrfachen Annäherungsversuchen ästhetisch und geistig anzueignen. Max Beckmanns Abtransport der Sphinxe (1945) aus der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe gehört zu den bisher unterschätzten Werken, denn die vorliegenden knappen Deutungsansätze unterscheiden sich nur wenig untereinander. Gerade deshalb bietet sich dieses Gemälde für eine exemplarische Untersuchung an. In dem vorliegenden Essay werden zunächst die sichtbaren Bildphänomene mit bloßem Auge beobachtet, sodann unter Streiflicht und des weiteren mit Hilfe der Infrarotreflexografie untersucht. So ergeben sich Hinweise nicht nur auf den Verlauf des Entstehungsprozesses, sondern es eröffnet sich auch ein erster Blick auf eine Art Konzept. Die ikonografische Analyse folgt keinem vorgängigen System, sondern befragt vor allem primäre Quellen nach ihrer Ergiebigkeit. Dies sind vor allem Beckmann Schriften (Tagebücher, Briefe etc.) und sein künstlerisches Werk, wobei sich eine Vielzahl von Parallelen und Rekursen anbietet. Im Verlauf des Diskurses erscheint Beckmanns Sphingenbild innerhalb eines zunehmend sich verdichtenden Beziehungsgeflechts, eingebunden zwischen dem Gesamtwerk und der Denk- und Gefühlswelt des Künstlers. Am exemplarischen Fall eines hochrangigen Werkes erweist es sich, daß dieses zum archimedischen Punkt einer Betrachtung werden kann, um in der Folge repräsentative Teile des Gesamtwerks zu erhellen. Im übrigen ist die historische Dimension der Beckmannschen Ikonografie insofern zu relativieren, als alle ästhetischen und kognitiven Fäden im Künstler konvergieren, so daß dieser sich dem Betrachter als Projektionsfeld für eigenes forschendes Sehen und anschauliches Denken anbietet.