Staßfurt 2010 – Erkennen, analysieren, bewerten und prognostizieren der zukünftigen Entwicklung der Bergbaufolgeschäden von Deutsche Gesellschaft für Geowissenschaften, Gerardi,  Johannes

Staßfurt 2010 – Erkennen, analysieren, bewerten und prognostizieren der zukünftigen Entwicklung der Bergbaufolgeschäden

Abschlusstagung Forschungsverbundvorhaben „Dynamik abgesoffener oder gefluteter Salzbergwerke und ihres Deckgebirgsstockwerks“

Aus dem Vorwort

Unter der Überschrift „Staßfurt 2010 – Erkennen analysieren bewerten und prognostizieren der zukünftigen Entwicklung der Bergbaufolgeschäden“ präsentieren die Partner des Forschungsverbundes „Dynamik abgesoffener oder gefluteter Salzbergwerke und ihres Deckgebirgsstockwerks“ die Ergebnisse ihrer Forschungsarbeit. In den Jahren 2006 bis 2010 am Beispiel der Stadt Staßfurt.

Motivation
Die alte Salzstadt Staßfurt hat unter den Folgen der Bergbaukatastrophen aus dem 19. Jahrhundert stark zu leiden. Nicht genug, dass die Bergschäden den Verlust zahlreicher Wohn- und Wirtschaftsgebäude im ehemaligen Stadtzentrum und in dem Industriegebiet von Leopoldshall nach sich zogen, beraubte ein Beschluss des Bezirksrates die Stadt jeglicher Hoffnung auf einen Neubeginn. Dieser Beschluss deklarierte das Bergschadengebiet als einen Bereich „latenter Bruchgefährdung“. Die Folge davon waren weitere Jahre der Stagnation für die Stadtentwicklung. Die hätte unter den damaligen politischen Bedingungen auch eine Totalaufgabe der betroffenen Stadteile bedeuten können.

Erst mit der politischen Wende in Deutschland entstanden Pläne, die alte Stadt neu erstehen zu lassen. Dennoch wirkt die Beschlusslage des Bezirksrats bis heute fort. Wegen unzureichender Information über die aktuelle Situation in den abgesoffenen Kaligruben auf der Südwestflanke des Staßfurter Salzsattels, war es den zuständigen Behörden nicht möglich, diesen Beschluss zurück zu nehmen. Die bekannten Fakten waren der Umfang des Senkungsgebiets, dessen dauerhaft fortschreitende Eintiefung und damit verbunden Schäden an den noch verbliebenen Gebäuden des ehemaligen Stadtzentrums. Als zusätzliche unbekannte erwies sich die Frage nach der Tagesbruchgefahr. Das Ausmaß solcher Tagesbrüche ist für die Bürger von Staßfurt noch heute in dem Sole-Strandbad in Leopoldshall und in Neustaßfurt sichtbar.

Forschungsverbünde I und II
Aus der Faktenlage heraus entstand im Jahre 1998 der Antrag für ein Forschungsprojekt, um damit eine Schadenanalyse für das Bergschadengebiet Staßfurt herbei zu führen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) förderte von Oktober 2000 bis Februar 2002 den ersten Forschungsverbund „Maßnahmen der nachhaltigen Gefahrenabwehr für Altlasten in Gebieten mit bergbaubedingten Destabilisierungsvorgängen am Beispiel der Stadt Staßfurt“. An dessen Ende stand die Erkenntnis, dass erst bei hinreichender Kenntnis sowohl der geologisch-tektonischen wie auch der bergbaulichen Situation im Untergrund eine Prognose zum zukünftigen Verhalten des Senkungs- und Bergschadensgebietes gegeben werden kann. Im Jahre 2003 wurde daher ein entsprechender Antragsentwurf für ein Nachfolgeprojekt vorgelegt.

Die Umsetzung des Projektvorschlags in einem gemeinsamen Projektantrag erfolgte von Mai 2006 bis Juli 2006. Nachdem feststand, dass das Land Sachsen- Anhalt durch die Beauftragung von drei Tiefbohrungen eine Kofinanzierung im Umfange von etwa 1,3 Millionen EURO vornehmen würde, erfolgte die Bescheidung im Oktober 2006. Die Fördersumme des BMBF belief sich einschließlich einer Mittelaufstockung auf ca. 6,7 Millionen EURO. Hinzu kommen die Eigenanteile der drei am Verbund beteiligten Firmen. Die Gesamtkosten des Projekts werden zum Projektende etwa 8 Millionen EURO betragen.

Die gemeinsam formulierten Ziele
Übergeordnetes Ziel des Forschungsverbundvorhabens war es, Grundlagen und Instrumente für das Erkennen, Beschreiben und Prognostizieren bergbaubedingt ablaufender, langfristiger Prozesse mit Auswirkung auf die Tagesoberfläche geschaffen. Hierzu sollten die Ursachen für die Senkungs- und Bruchprozesse an der Tagesoberfläche festgestellt und analysiert werden, um darauf aufbauend ein Prozessverständnis zu entwickeln, mit dem eine Prognose für zukünftige Veränderungen der Oberfläche ermöglicht wird. Die im Projekt zu erprobenden und weiter zu entwickelnden Verfahren und Methoden sollen auf andere Standorte übertragbar sein.

Projektarbeit und Ergebnisse
Die Projektarbeiten begannen mit einer Bestandsaufnahme der zur Verfügung stehenden Datengrundlagen. Dies betraf die Bohrungen, Grubenrisswerke, geophysikalische Untersuchungen und Bergschadenhistorie und nicht zuletzt die Geologie und Hydrogeologie. Es stellte sich heraus, dass zwar zahlreiche Daten vorlagen, diese aber nicht unmittelbar einsetzbar oder unvollständig waren und teilweise auch lückenhaft blieben. Über diese sehr zeitaufwendigen Arbeiten wird berichtet. Mit der Datenaufbereitung begann das Vernetzte Arbeiten des Forschungsverbundes.

Dem Thema Grundlagen widmeten sich insbesondere die geophysikalischen Methoden Hubschrauberelektromagnetik (HEM) und die LIDAR-Messungen. Aus diesen entstanden Höhenmodelle vom gesamten Arbeitsgebiet und auch darüber hinaus. Zudem zeigen die hoch aufgelösten HEM-Messungen über die Leitfähigkeit die Grundwasserbeschaffenheit entlang des Salzsattels von Egeln im Norden bis Güsten im Süden. Auf die daraus abgeleiteten Informationen folgten weitere hydrogeologische und bodengeophysikalische Untersuchungen.

Grundlagen anderer Art entstanden mit der dreidimensionalen Erfassung der alten Grubenbaue auf der Südwest- und der Nordostflanke des Staßfurter Salzsattels. Später folgte aus der Kombination der Rissinformationen und Archivdaten mit den alten und neuen Flach- und Tiefbohrungen sowie der im Projekt erstellten Seismik, Bodengeophysik, HEM-Messungen und der Gravimetrie ein komplexes dreidimensionales geologisches Modell. Zusammen mit der Gravimetrie und der geomechanischen Modellierung bilden die 3D-Modelle wichtige Bestandteile der Prognose der zukünftigen Entwicklung des Bergschadengebiets und der Tagesbruchgefahr. In diesem Zusammenhang sind auch die wichtigen Beiträge des seismologischen und das nanoseismischen Monitorings zu nennen.

Die Hydrogeologie entwickelte in Zusammenarbeit mit verschiedenen Disziplinen und dem 3D-Modell ein großräumiges dynamisches Bild der Grundwasserströmung und des Stofftransportes im Untergrund von Staßfurt und des Umfeldes. Durch hydrochemische Modellierungen und lösungskinetische Stoffbilanzrechnungen konnte der aktuelle Zustand der Lösungen in den Grubenbauen das Ausmaß der bisherigen Lösungsprozesse abgeschätzt werden. Mittels Isotopengeochemie konnten Alter der Tiefengrundwässer beschrieben werden und damit die Zeitdauer von Prozessen abgeschätzt werden. Die zusätzlich eingeführten Methoden der ungestörten Probennahme und der laseroptischen Fließrichtungsmessungen in tiefen Messstellen im Salinargestein und den Grubenbauen konnten die Ergebnisse ergänzen.

Das Monitoring hat sich in diesem Forschungsvorhaben als ein bedeutsamer und zielführender methodischer Ansatz herausgestellt. Methoden des hydrodynamischen, hydrochemischen und geophysikalischen (seismologischen und gravimetrischen) Monitorings fanden jeweils Anwendung und Betätigungen und eröffnen in ihrer Kopplung neue Möglichkeiten der Beobachtung und Interpretation der ablaufenden Prozesse. Spektakulär erschien der Hinweis, dass ein gravimetrisches Monitoring zur Langzeitüberwachung eines Bergbauareals geeignet sein kann.

Zusammenfassung und Ausblick
Ganz im Einklang mit den im Forschungsantrag formulierten Zielen wurde ein interdisziplinäres Instrumentarium entwickelt, mit dem vergleichbare Schadensituationen zukünftig bearbeitet werden können. Bei aktuellen Ereignissen in Sachsen-Anhalt konnten die Untersuchungsmethoden des Forschungsverbundes bereits empfohlen und auch zum Einsatz gebracht werden. Im Sinne des BMBF-Förderprojektes „Forschung für die Nachhaltigkeit“ kann zum Abschluss der Forschungsarbeiten gesagt werden, dass für eine akute Gefahr hinsichtlich des weiteren Verbruchs der untersuchten tiefliegenden Grubenbaue der Schachtanlagen Leopoldshall I/II, von der Heydt und von Manteuffel sowie Neustaßfurt I, II und III nicht erkannt wurde. Ebenso finden sich keine Anzeichen für einen Tagesbruch. Dies gilt unter der Voraussetzung, dass die Grundwasserverhältnisse in den tiefen Grubenbauen nicht gestört werden.

Anders ist die Prognose für die Grubenbereiche oberhalb 250m unter Gelände. Für diesen Bereich gibt es Hinweise auf das Vorhandensein deutlich untersättigter Lösungen und der Möglichkeit der weitergehenden Auflösung von Salinargesteinen, die möglicherweise in Zusammenhang mit einer nachgewiesenen Grundwasserzirkulation in den Grubenbauen steht. Dazu kündigt dieser Forschungsverbund die Formulierung eines Folgeprojekts an.

Als Ergebnis der Forschungsarbeiten, ist nunmehr die beispielhafte Entwicklung eines nachhaltigen Gestaltungs- und Flächennutzungskonzeptes für einen Lebens- und Wirtschaftsraum, der durch Bergbau und eine mehr als 150-jährige Industriegeschichte geprägt ist, zu realisieren.

Danksagung
Dem Bundesministerium für Forschung und Bildung für die großzügige Förderung und dem Projektträger, dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Projektträger Karlsruhe, Bereich Wassertechnologie und Entsorgung sowie dem Projektbeirat für die fachliche Begleitung dieses Forschungsvorhabens gebührt an dieser Stelle ein sehr großer Dank. Dies gilt gleichermaßen dem Bundesministerium für Wirtschaft, vertreten durch die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) und dem Geozentrum Hannover für die personelle und infrastrukturelle Unterstützung. Den Mitarbeitern des Landesamtes für Geologie und Bergwesen Sachsen-Anhalt danken wir für die zahlreichen Handreichungen und Zuarbeiten, Hinweise und die wichtigen Diskussionen.

Nicht zuletzt sprechen wir dem Oberbürgermeister, dem Rat und der Verwaltung der Stadt Staßfurt für die vielfältige Unterstützung des Vorhabens unseren herzlichen Dank aus. Der Staßfurter Bevölkerung und den Druckmedien dankt der Forschungsverbund für das entgegengebrachte Interesse, das Vertrauen und das Verständnis für die Forschungsarbeiten.

Hannover, im November 2010

Johannes Gerardi (BGR)
-Koordinator des Forschungsverbundes-

Inhaltsverzeichnis

Vorwort. 7

Grußworte. 11

Montanhistorie der Kaligruben am Staßfurter Sattel – Grundlagen, Anne Allendorf. 19

Zusammenfassung der Ergebnisse des Tief- und Flachbohrprogramms, Frank Wackwitz, Hans-Dietrich Thormeier, Uwe Stahl. 32

3D-Modelle der Kali- und Steinsalzbergwerke des Staßfurter Sattels und geologisches 3D-Modell der Region Staßfurt, Christian Dresbach, Maximilian Pusch, Gerhard Mingerzahn, Stephanie Fleig, Jörg Hammer, Joachim Behlau. 46

Auswertung von LIDAR- Messungen zur Erkennung möglicher altbergbau bedingter Senkungs- und Bruchvorgänge im Untersuchungsraum Staßfurt, Thomas Schicht, Anne Allendorf. 63

Möglichkeiten der Aerogeophysik zur hydrogeologischen Erkundung der Umgebung des Staßfurt-Egelner Sattels, Bernhard Siemon, Tatjana Kerner. 73

Der Beitrag hochauflösender Bodengeophysik zur hydrogeologischen Charakterisierung von Destabilisierungsprozessen in Berg schadens gebieten am Beispiel der Stadt Staßfurt, Yvonne Krause, Ursula Noell, Markus Furche, Christoph Grissemann. 82

Ergebnisse des reflexionsseismischen Untersuchungsprogramms im Raum Staßfurt, Ulrich Polom, Bernadette Heinze. 92

Beitrag der Gravimetrie zur strukturellen Erkundung und zum Monitoring in Senkungsgebieten, Knut Seidel, Ulrich Serfling. 112

Seismologisches Monitoring im Bergschadengebiet Staßfurt, Matthias Keyser, Gernot Hartmann. 125

Hydrogeologische und hydrochemische Verhältnisse der ehemaligen Staßfurter Kalisalzgruben an der Westflanke des Staßfurter Sattels und des Deckgebirges, Christoph Jahnke, Antje Bohn, Norbert Walter, Hans-Jürgen Voigt. 144

Isotopen- und Umwelttracersysteme zur Charakterisierung verschiedener Aquifereinheiten in Staßfurt, Susanne Stadler. 155

Untersuchung der lösekinetischen Vorgänge beim Ersaufen der Staßfurter Kaligruben, Jürgen Bach. 161

In-situ Grundwasser-Fließmessungen im Deckgebirge und an den Grubenbauwerken des Staßfurter Sattels, Marc Schöttler. 173

Numerische Strömungs- und Massentransportmodellierung im Bereich des ehemaligen Kalibergbaus Staßfurt, Hans-Jörg Diersch, Junteng Luo, Wolfram Rühaak. 179

Geomechanische Berechnungen zur Interpretation von Tagesbrüchen und Oberflächenabsenkungen im Bergschadensgebiet Staßfurt, Uwe Düsterloh, Svetlana Tedeeva. 189

3D-Visualisierung und Quantifizierung von Fluidströmungen in Salinargestein mittels Positronen-Emissions-Tomographie, Martin Wolf, Johannes Kulenkampff, Frieder Enzmann, Marion Gründig, Michael Richter, Johanna Lippmann-Pipke, Helmut Mittmann. 200

„Hochauflösende Computertomographie und Computersimulationen an Bohrkernen der Staßfurt – Forschungsbohrungen“, Frieder Enzmann, Zoran Jovanovic, Jens-Oliver Schwarz, Jürgen Tuckermann, Jürgen Göbbels, Michael Kersten. 213

Poster

Forschungsverbundvorhaben „Dynamik abgesoffener und gefluteter Salzbergwerke und ihres Deckgebirgsstockwerks“, Bernadette Heinze, Ulrich Polom. 227

Zustandserhaltende Grundwasser- und Gelöstgasbeprobung von Tiefenwässern für hydrochemische Spezialuntersuchungen in Staßfurt, Susann Berthold, Johannes Gerardi. 229

Hubschrauberelektromagnetik zur Erkundung von geologischen und hydrogeologischen Strukturen am Staßfurt-Egelner Sattel, Tatjana Kerner, Bernhard Siemon, Ursula Noell, Jens Pielawa. 231

Georadar-Bodenmessungen über dem Salzstock Staßfurt, Volker Gundelach, Norbert Blindow, Ulrich Buschmann, Christina Salat. 235

Auswertung von LIDAR- Messungen zur Erkennung möglicher altbergbaubedingter Senkungs- und Bruchvorgänge im Untersuchungsraum Staßfurt, Anne Allendorf, Thomas Schicht. 237

Ergebnisse einer geologischen Kartierung westlich der Stadt Staßfurt, Saskia Frenz, Johannes Gattinger, Frieder Enzmann, Johannes Gerardi. 239

Exkursionen

Exkursion 1: Geologie und Altbergbau am Staßfurt – Egelner Sattel, Günter Schönberg, Karl Wächter. 242

Exkursion 2: ESCO Werk Bernburg, Christian Dresbach, Frank Farkas, Joachim Wendzel. 256

Exkursion 3: Rundgang im Stadtgebiet von Staßfurt – „Wiege des Kalibergbaus“, Günter Schönberg, Johannes Gerardi. 262

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