Sunniten gegen Schiiten
Zur Konstruktion eines Glaubenskrieges
Tyma Kraitt
Die meinungsbildende Berichterstattung über den Nahen und Mittleren Osten konzentriert sich auf den innerislamischen Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten. Dadurch geraten die sozioökomischen und politischen Ursachen dieser Kriege in den Hintergrund – zu Unrecht. Denn tatsächlich ist die Verschränkung von sozialer Benachteiligung und religiöser Identität in vielen Ländern ein wesentlicher Antrieb der Krisenzyklen.
Machtpolitisch übersetzt ist der sunnitisch-schiitische Konflikt vor allem einer zwischen Saudi-Arabien und Iran. Beide Regionalmächte kämpfen seit der Islamischen Revolution im Iran 1979 und spätestens seit dem Irak-Krieg von 2003 um die Vorherrschaft in der islamischen Welt. Dahinter stehen handfeste ökonomische und geopolitische Interessen. Dennoch kann die jahrhundertelange Geschichte der Ressentiments innerhalb der beiden großen islamischen Strömungen nicht außer Acht gelassen werden.
Tyma Kraitt erläutert die historischen Hintergründe des islamischen Schismas und thematisiert die sozioökonomischen Faktoren, die diesen alten Religionskonflikt stets wieder aufflammen lassen. Detailliert geht sie dabei u.a. auf die Auseinandersetzungen im Libanon und im Irak ein und erläutert die ideologischen Grundlagen und konkreten Ausformungen von Wahhabismus und Salafismus.
Einen wesentlichen Fokus legt sie zudem auf den Einzug der Religion ins politische Feld. Hierbei werden unterschiedliche Gruppierungen und Bewegungen näher beleuchtet – wie etwa die Muslimbrüder, der iranische Klerus und der Islamische Staat – und ihre Positionen innerhalb des regionalen sunnitisch-schiitischen Konflikts verortet. Dadurch kann verdeutlicht werden, wie sehr die Vermengung von Religion und Politik dazu beiträgt, jahrhundertealte Rivalitäten zu aktivieren und in die Gesellschaften des Nahen und Mittleren Ostens hineinzutragen. Insbesondere die USA, die seit der sowjetischen Invasion in Afghanistan immer wieder auf die islamische Karte setzen, wissen diese Gegensätze für eigene Interessen zu instrumentalisieren.