Tanztherapie – Theorie und Praxis
Ein Handbuch
Gerd Hölter, Hilarion G. Petzold, Elke Willke
Bei der Weiterentwicklung präventiver und psychotherapeutischer Konzepte zur psychischen Gesundheit erfahren in den letzten Jahren national und international zunehmend solche Verfahren mehr Beachtung, die Leiblichkeit und Bewegung in ihre Vorgehensweisen integrieren. Indikatoren hierfür sind u.a. neuere wissenschaftliche Publikationen, die aus neurobiologischer und leibphilosophischer Sicht (embodiment) sowie aufgrund empirischer Forschung eine stärkere Sicht auf den Menschen als biopsychosoziales Wesen und die Berücksichtigung des engen Zusammenhangs zwischen Körper und Psyche sowohl in der Gesundheitsvorsorge als auch in der Akutbehandlung einfordern. Diese – z.T. heute als neu empfundene Entwicklung – ist eng mit einer seit der Antike geführten Diskussion zum Körper-Seele Zusammenhang des Menschen verbunden. Als eine praktische Konsequenz dieser Überlegungen haben sich im Laufe der Zeit zahlreiche leib- und bewegungsorientierte therapeutische Verfahren entwickelt, die den therapeutischen Prozess sei es durch verschiedene Modi des Ausdrucks (Stimme, Tanz, musikalische und künstlerische Gestaltung) oder durch direkte Interventionen auf der Körper- und Bewegungsebene (Massage, Sport- und Physiotherapie, Gymnastik etc.) beeinflussen wollen.Eine traditionsreiche und gut begründete Interventionsform ist in diesem Zusammenhang die Tanztherapie, die ihre Anfänge z.T. in der deutschen Ausdruckstanzbewegung am Anfang des vergangenen Jahrhunderts hatte, später dann vornehmlich in den USA weiterentwickelt wurde und mittlerweile ein ausgeprägtes eigenständiges Profil in den deutsprachigen Ländern hat.Die vorliegenden Originaltexte aus einer Zeitspanne von über 70 Jahren dokumentieren die allmähliche Entstehung dieser Therapieform in der theoretischen und praktischen Auseinandersetzung mit künstlerischen, bewegungswissenschaftlichen und psychotherapeutischen Konzepten.Einleitend gibt E. Willke einen allgemeinen Überblick über die Entstehungsgeschichte und den aktuellen Stand der Tanztherapie in Deutschland. Im ersten Teil werden – z.T. in Textauszügen – die Hintergründe einer therapeutischen Deutung des Ausdruckstanzes (Boas, v. Laban , Wigman), und der anthropologischen Interpretation des Phänomens Bewegung (Buytendijk) vorgestellt. Es folgen dann ausgewählte Texte der sogenannten ‚Mütter der Tanztherapie‘ (Chace, Espenak, Schoop, Whitehouse), die zunächst alle herausragende Tanzkünstlerinnen mit eigenen internationalen Auftritten waren und die später in therapeutischen Kontexten tätig wurden. Eine stärkere psychotherapeutische Fundierung der Tanztherapie erfolgte ab Mitte der 70-iger Jahre des letzten Jahrhunderts in den USA durch die ‚Töchtergeneration‘, einer Reihe von Frauen, die neben einer tänzerischen Ausbildung gleichzeitig approbierte Psychotherapeutinnen waren (Dosamantes-Alperson , Bernstein, Siegel). Ihre Arbeiten sind ebenfalls mit Originaltexten dokumentiert. Im zweiten Teil finden sich Texte aus der Anfangszeit der Etablierung der Tanztherapie in Deutschland. Sie dokumentieren das Anwendungsspektrum dieser Therapieform und diskutieren eine Abgrenzung zwischen Tanzerziehung als Bildung und Tanztherapie als Verfahren der Psychotherapie und Heilkunst. Bei aller Vielfalt und Buntheit lohnt es u.E. – und das bestätigt die vielfache Nachfrage nach einer Neuauflage dieses Buches – erneut anhand von Originaldokumenten sich der Entstehungsgeschichte, der Hintergründe und der Konzepte zu vergewissern, die auch noch heute bedeutsam sind und auch die aktuelle Entwicklung der Tanztherapie im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus in Theorie und Praxis geprägt haben und prägen.