Thiele
Persönliches Porträt eines außergewöhnlichen Unternehmers
Franz Schwarz, Günter Zimmermann
Prolog
Heinz Hermann Thiele, am 2. April 1941 in Mainz geboren, ist am 23. Februar 2021 in München gestorben. Sein Tod hat mich persönlich sehr betroffen gemacht. Die Betroffenheit hat einen besonderen Hintergrund: Anlässlich meines achtzigsten Geburtstags veröffentlichte ich Anfang Oktober 2020 unter dem Titel „Von Null auf Achtzig – Zeitgeschichtliche Reise durch ein facettenreiches Leben“ (ISBN 978-3-942592-43-7) meine Memoiren. Auf der Rückseite des Covers findet sich unter den Kurztiteln auch die Zeile „Heinz Hermann Thiele als mutiger Retter“. Also schon ein Jahr vor Thieles Tod stieß ich bei Abfassung meiner Memoiren auf die Bedeutung Thieles für mein Leben, so dass ich damals schon den Entschluss fasste, mich Thieles Leben im Anschluss zu widmen.
Thiele und ich, beide waren wir Mitte der achtziger Jahre in einer entscheidenden Phase unseres Berufslebens nahe beieinander. Beide verbrachten wir in schwieriger Zeit zwei Jahrzehnte lang unter dem Dach der Knorr-Bremse-Zentrale, auch im wahrsten Sinn des Wortes. Er kam im Zuge eines Management-Buy-out aus der Position eines angestellten Geschäftsführers als Unternehmer in die Verantwortung eines sanierungsbedürftigen Unternehmens. Zu diesem Zeitpunkt fiel bei mir die Entscheidung, vom Leitenden Angestellten als Personalchef in die Selbständigkeit zu gehen.
Mehrere Jahre habe ich immer wieder an meinen Memoiren gefeilt. Sukzessiv begegnete ich dabei immer mehr Thiele als Persönlichkeit, die einen Teil meines Lebens maßgeblich beeinflusst hat. Meinen Wunsch nach Unabhängigkeit als Unternehmensberater, losgelöst von den Zwängen des Netzwerkes eines Betriebes, hätte ich ohne sein Zutun nie so komfortabel realisieren können. Trotz aller persönlichen Distanz, die unseren betrieblichen Alltag auszeichnete, hatte ich in einer für mich schwierigen Zeit des Abschieds von der Knorr-Bremse in Thiele einen fairen Partner gefunden. Ihm habe ich es letztlich zu verdanken, dass ich die letzten Jahrzehnte meines Berufsleben als kompetenter Berater meinen Kunden, fachlich versiert, selbstbewusst gegenübertreten konnte.
Die Seite der Persönlichkeit des „fairen Partners“ fand ich in den vielen Veröffentlichungen zu Thiele in Zeitungen und Zeitschriften wenig, oder gar nicht gewürdigt. Im Mittelpunkt stand immer wieder der „Selfmademilliardär“, der mit Härte seine Ziele durchsetzte. Auch der von ihnen geschilderte Umgang mit Vorständen und Arbeitnehmern entwarf ebenso ein eher negatives Porträt seiner Persönlichkeit. So wuchs in mir das Anliegen, auch einen anderen Thiele zu zeigen.
Meine eingangs erwähnten Memoiren sind zum Beginn meines 80. Lebensjahres im Oktober 2020 erschienen. Die Resonanz auf dieses Buch war überschaubar. Aber wer kannte den Autor Günter Zimmermann und interessierte sich für sein Leben? Bei Abfrage der Bestellungen fiel mir eine private Bestellung für zwei Bücher auf. Ich nahm mit dem Besteller Kontakt auf. Es war der Altbürgermeister von Aldersbach Franz Schwarz. Er war der Nachfolger von Josef Kiermeier, mit dem ich beim Aufbau des dortigen Zweigwerkes eng zusammenarbeitete. Schwarz wurde im Jahre 1990 1. Bürgermeister, also zu einer Zeit, als ich zwischenzeitlich für die Firma Knorr-Bremse als freier Unternehmensberater bei der personellen Umstrukturierung in Ostberlin tätig war.
Zu dieser Zeit stieg Thiele mit dem von ihm gewohnten Elan sowohl in die räumliche Erweiterung als auch mit einer neuen strategischen Neuausrichtung des Werkes Aldersbach ein. Für Schwarz als 1. Bürgermeister begann nun eine Zeit engster Zusammenarbeit mit Thiele. Die sich daraus notwendigen Kontakte entwickelten sich zu einer Freundschaft, die über seine Amtszeit hinausreichte.
Als ich Schwarz von meinem Vorhaben über der Erstellung eines Buches über Thiele informierte, und er über die vielen Erlebnisse mit Thiele erzählte, äußerte ich den Wunsch, ob er durch Beiträge an dem Buch mitwirken wollte. Er willigte ein. Er selbst habe sehr viele Aufzeichnungen über Begebenheiten mit Thiele und ist ständig dabei sie zu vervollständigen. Bei dieser Gelegenheit wurde mir klar, dass ein solches Volumen meine ursprüngliche Konzeption des Buches „Thiele“, das vorwiegend auf den beruflichen Werdegang ausgerichtet war, sprengen würde. So kam ich zu dem Schluss, dass ich das Buch mit zwei großen Kapiteln anlegen würde: Das erste Kapitel sollte die Überschrift „Thiele, der Zielstrebige“ und als zweite Überschrift „Thiele, der Bodenständige“ tragen.
Die Diktion des zweiten Kapitels ist erklärungsbedürftig. Sie unterscheidet sich vom ersten Kapitel, dass dabei Erlebnisse mit Thiele „frei von der Leber weg“ erzählt werden, und diese Art für manchen Leser erklärungsbedürftig ist. Würde man den Schilderungen den autochthonen Charakter nehmen, so würde das Fluidum fehlen, dass nach meiner Auffassung notwendig ist, um das Eintauchen Thieles außerhalb der Welt der Wirtschaft zu verdeutlichen. Dieses könnte in der Sehnsucht wie bei vielen Menschen begründet sein, einen „festen Boden“ unter den Füßen zu haben, der dem Leben Halt gibt.
So kann ich am Schluss dieses Prologs festhalten, dass mit dem Buch nicht die Absicht bestand, eine Biografie Thieles vorzulegen, sondern den Versuch zu unternehmen, ein Porträt dieser außergewöhnlichen Unternehmerpersönlichkeit zu entwerfen. Dabei verzichtete ich ganz bewusst, investigativ tätig zu werden. Das Porträt fußt auf ganz persönlichen Erlebnissen und Fakten, die allgemein zugänglich sind.
Günter Zimmermann