Thomas Bernhard ein Spätgnostiker?
Das Motiv des Fremd-Seins in der Gnosis und mögliche spätgnostische Spuren in Bernhards „Frost“
Norbert Pichler
Die Stimmung des Fremd-Seins in der Welt ist weit verbreitet in einer Gesellschaft, die die metaphysische Perspektive gerne leugnet. Andererseits werden keine Kosten und Mühen gescheut, sich psychoanalytisch begutachten oder esoterisch einnebeln zu lassen. Nach der kopernikanischen Wende, Aufklärung und dem Cyberspace ist es komplizierter geworden, die „Welt“ sinnstiftend zu schauen. Die Entfremdung entsteht daher zu einem Teil aus der Rückschau in eine komplette Welt, die sich in ihrem Zusammenspiel mit dem Universum (und Gott bzw. den Göttern) sinngebend deuten ließ. In dieser Rückschau verlockt die selbst gewählte Position des Fremd-Seins zur Beschäftigung mit der spätantiken Gnosis, die sich einerseits von der Welt abwendet bzw. sie negiert, und andererseits dennoch mit selbstbewusster und erkennender Präsenz an den abwechselnden Zyklen des Weltgeschehens dabei ist. Norbert Pichler zeigt in seiner vergleichenden Studie am konkreten Beispiel, dass Denk-Ansätze bis in unsere Tage literarischen Widerhall finden. Das Perlenlied aus den Thomasakten dient ihm als typologisches Muster für gnostische Literatur. Diesem werden Passagen aus Frost von Thomas Bernhard gegenübergestellt, um bewusste oder unbewusste gnostische Motive des Fremd-Seins nachzuzeichnen, ohne dadurch den Autor in irgendeiner Weise zu vereinnahmen.