Tiefsinnige Gedanken einer Kuh
Mögliche und unmögliche Geschichten
Susanne Spöndlin
Es stimmt, die Prinzessin war aussergewöhnlich schön. Ob sie aber so hochmütig war, wie behauptet wird, ist nicht belegt. Ein wenig eitel, das vielleicht schon. Wahrscheinlich war ihre Mutter schon lange gestorben, und der König, der seine Tochter mit väterlichem Stolz liebte, hatte dennoch wenig Zeit, sich um sie zu kümmern. Er war allem Anschein nach ein gewissenhafter König. So wuchs sie heran, vielfach bewundert und geehrt an einem glanzvollen Hof, umgeben von ehrgeizigen Höflingen. Niemand wusste – auch sie nicht -, dass ein verborgener Winkel ihrer Seele etwas weinte und sich nach ein wenig Zärtlichkeit und Liebe sehnte. Ja, so wird es gewesen sein, auch wenn die Geschichte nichts davon berichtet. Als die Prinzessin bald neunzehn Jahre alt wurde, sprach der König: „Meine Tochter, es wird Zeit, dass wir an einen Mann für dich denken. Alle Prinzessinnen heiraten, das gehört sich.“