Tschernobyl
Katastrophe und Langzeitfolgen
Reinhold Koepp, Tatjana Koepp-Schewryna
Die Idee, dieses Buch zu schreiben, regte sich bei mir erstmalig, als ich im Jahre 1992 am Meßprogramm der Bundesrepublik Deutschland zur Erfassung der Strahlenbelastung der Bevölkerung im Kiewer Gebiet teilnahm. In den vielen Gesprächen, die wir mit den Menschen fuhrten, deren Radioaktivität von uns gemessen wurde, tauchten immer wieder neue Fragen der Betroffenen auf, die wir jedem einzelnen zu beant worten suchten. Andererseits stellten auch wir Fragen, insbesondere zur Ernährung. Bei den Gesprächen, die ich dort und ein Jahr später in Rußland, im Brjansker Gebiet, wo die radioaktive Belastung sehr viel höher war, fuhren konnte, bewegte mich immer wieder das folgende Problem: gerade jene Menschen, die naturverbunden lebten und sich von den Produkten ihres Gebietes ernährten, waren am stärksten radio aktiv belastet. Wer frisches Obst und Gemüse aß, gar aus dem eigenen Garten, wer Milch von Kühen der näheren Umgebung trank, im Wald Pilze und Früchte fur sich und seine Familie sammelte, bei dem hatte sich überall im Körper, besonders in den Muskeln, radioaktives Cäsium angesammelt. Meist hatten diese Menschen seit ihrer Geburt hier gelebt, und nun sahen sie sich unsichtbaren, mit keinem der menschlichen Sinne erfaß baren Gefahren gegenüber, deren Ausmaß sie kaum ermessen konnten. Eine seit Generationen überlieferte Lebensweise, die ihren Vorfahren immer wieder Kraft gegeben und die Gesundheit gesichert hatte, war plötzlich gefährlich geworden. Vielleicht haben wir durch unsere Meßaktionen ein wenig geholfen, die neuen Gefahren besser zu erkennen, die Gewohnheiten etwas darauf einzustellen, ohne sie einschneidend ändern zu müssen.