Über das Individuationsprinzip
Johannes Duns Scotus, Thamar Rossi Leidi
Erste vollständige deutsche Übersetzung von Scotus’ Auseinandersetzung mit dem Individuationsproblem, mit der er der Debatte, die sich von der Spätantike über Boethius, Ockham und Leibniz bis zur analytischen Philosophie zieht, eine entscheidende neue Richtung wies.
Wie ist es möglich, dass ein Seiendes (etwa ein Apfel) Eigenschaften besitzt, die es nur allein und ausschließlich hat und die es damit zu einem Individuum machen (also in diesem Fall: zu diesem besonderen Apfel) – und gleichzeitig Eigenschaften allgemeiner Art, die seine Zugehörigkeit zu etwas Allgemeinem (der Gattung Apfel) kennzeichnen? Besitzen beide Eigenschaftstypen dieselbe Realität? Und welchen ontologischen Status hat eigentlich die Substanz, der bestimmte individuelle Eigenschaften zugeordnet werden? Ist diese wiederum etwas Allgemeines?
Der Scholastiker Johannes Duns Scotus setzt sich in den Quaestionen »De principio individuationis« aus seiner großen Ordinatio mit diesem sogenannten Individuationsproblem auseinander. Seine sehr differenzierte Argumentation hatte in der Folgezeit großen Einfluss und liegt hier zum ersten Mal in einer vollständigen deutschen Übersetzung vor.
In der mittelalterlichen Philosophie wird die Individuationsfrage im Zusammenhang mit dem Universalienproblem diskutiert, also der Frage nach der Wirklichkeit der Allgemeinbegriffe. Scotus hält in dieser Frage, in der es auch um die Wirklichkeit des individuellen Menschen geht, an der Existenz von Universalien fest, gelangt also nicht, wie etwa Ockham, zu einem reinen Nominalismus. Aber er behauptet die formal unabhängige, gleichberechtigte Existenz des Einzeldings (des Menschen) gegenüber seiner Allgemeinnatur (des Menschseins).
In seiner ausführlichen Einleitung zeichnet der Herausgeber Scotus’ Argumentation im philosophiegeschichtlichen Kontext nach und verweist insbesondere auf Parallelen zu neueren Diskussionen in der analytischen Philosophie.