Überlebt
Kindheit und Jugend in der Niederlausitz 1936 bis 1951
Marion Hein
Zwischen 1994 und 2008 trafen sich regelmäßig Altersgenossen der Geburtsjahrgänge um 1930 am Vorabend des Finsterwalder Sängerfestes im Gasthaus Waldfrieden. Die meisten sahen sich beim ersten Treffen nach über fünfzig Jahren zum ersten Mal wieder und entsprechend zäh verliefen anfangs die Gespräche. Doch dann erzählte einer nach dem anderen, wie sein Leben seither verlaufen war, wobei die Erlebnisse in den Kriegs- und Nachkriegsjahren immer besonderes Interesse fanden. Wiederholt wurde vorgeschlagen, diese Berichte aufzuschreiben.
Diese Männer und Frauen waren es, die als Neun- und Zehnjährige im Erdkunde- und Geschichtsunterricht mit glänzenden Augen auf der großen Europakarte die Gebiete abgesteckten, die die Deutsche Wehrmacht erobert hat – jedenfalls so lange sie immer größer wurden. Sie sind uniformiert durch die Stadt marschiert und haben gesungen: „Fort mit jedem schwachen Knecht, nur wer stürmt hat Lebensrecht!“, ohne zu ahnen, welche furchtbaren Verbrechen unter diesem Motto begangen wurden. 1945 wurden ihnen die Augen geöffnet und sie begannen zu begreifen, wieviel Unglück durch unser Volk über die Welt gekommen war.
Nein, schuldig sind sie nicht geworden. „Kein fühlender Mensch erwartet von denen, die zur damaligen Zeit im Kindesalter waren, ein Büßerhemd zu tragen, nur weil sie Deutsche sind“, das betonte Richard von Weizsäcker in seiner berühmt gewordenen Rede vor dem Deutschen Bundestag am 40. Jahrestag der Beendigung des 2. Weltkriegs. „Aber wir alle, ob schuldig oder nicht, ob alt oder jung, müssen die Vergangenheit annehmen. Wir alle sind von ihren Folgen betroffen und für sie in Haftung genommen. Jüngere und Ältere müssen sich gegenseitig helfen zu verstehen, warum es lebenswichtig ist, die Erinnerung wach zu halten.“
Wach zu halten ist auch die Erinnerung an die Zeit, als unser Land geteilt wurde. Wach müssen wir bleiben, damit so etwas nie wieder passiert.