Utopie – Mythos – Religion
Von der Kritik der Moderne zum Humanismus der Praxis
Franz J Hinkelammert
Leben und Werk des mittlerweile 92-jährigen Franz Hinkelammert widerspiegeln sowohl die Geschichte der Theologie der Befreiung als auch ihren gesellschaftspolitischen Ausgangspunkt und ihren wissenschaftlichen Status.
Die Theologie der Befreiung ist von Beginn an durch den methodischen Dreischritt «sehen – urteilen – handeln» gekennzeichnet. Hinkelammert hat zu allen drei Dimensionen Wesentliches beigesteuert und daher die Entwicklung der Theologie der Befreiung von Medellín (1968) bis heute nachhaltig beeinflusst.
«Sehen» heißt nicht nur, die Fakten zur Kenntnis zu nehmen, sondern diese zu analysieren. Es geht also auch in der Theologie nicht ohne Ökonomie und Soziologie.
«Urteilen» bedeutet nicht nur, moralische Wertungen vorzunehmen, sondern eine radikale Kritik zu entfalten und deren Kriterien aus der Tradition der Bibel und der christlichen Lehre nachvollziehbar zu begründen.
Und schließlich besagt «Handeln» nicht nur, dass man etwas tut, sondern dass eine dem Urteil adäquate gerade auch politische Praxis entfaltet und konsolidiert wird.
Vor rund fünfzig Jahren hat Hinkelammert den Dialog zwischen Theologie und Ökonomie in Gang gebracht und bis heute aufrechterhalten. In diesem Dialog zwischen Gleichberechtigten,wo es keine wechselseitigen Unterordnungen geben darf, werden beide Wissenschaften gezwungen, ihre Grundbegriffe zu überdenken und die mit ihnen operierenden Aussagen systematisch neu zu ordnen.
Kuno Füssel