Verfassungsrechtliche Probleme des Privatversicherungsrechts
Wolf R Schenke
Die Frage nach den Auswirkungen des Verfassungsrechts auf das Privatversicherungsrecht ist bisher vergleichsweise wenig untersucht worden. Das überrascht, weil der Einfluss des Verfassungsrechts auf das Privatrecht seit langem eingehend erörtert wird. Bei dieser Diskussion wird vielfach eine weitreichende, auf die Grundrechte gestützte Konstitutionalisierung des Privatrechts befürwortet. Sie soll dem zwischen den Vertragsparteien häufig bestehenden Machtgefälle und einem daraus resultierenden besonderen Schutzbedürfnis der schwächeren Vertragspartei Rechnung tragen. Entsprechende Probleme können sich aber auch im Privatversicherungsrecht stellen, z. B. bei der Kapitallebensversicherung und der Unfallversicherung.
Auch im Privatversicherungsrecht kann der Frage nach einer Reservefunktion der Grundrechte nicht ausgewichen werden. Sie bildet den Gegenstand mehrerer beim Bundesverfassungsgericht anhängiger Verfassungsbeschwerdeverfahren, bei denen unter Bezug auf Grundrechte des
Versicherungsnehmers verfassungsrechtliche Einwände gegenüber zentralen Bestandteilen des praktizierten Privatversicherungsrechts geltend gemacht werden. Es geht hierbei u. a. um die Ausgestaltung des Anspruchs des Versicherten auf Überschußbeteiligung bei einer Kapital-lebensversicherung sowie um deren Rückkaufswert bei vorzeitiger Kündigung des Versicherungsvertrags.
Die vorliegende Schrift enthält ein im Rahmen der Verfassungsbeschwerdeverfahren erstelltes Rechtsgutachten. Es zeigt die Unbegründetheit der in den Verfassungsbeschwerdeverfahren
geltend gemachten grundrechtlichen Bedenken gegen die Ausgestaltung von Kapitallebens-versicherungs-, aber auch von Unfallversicherungsverträgen auf. Sie lassen sich weder auf eine mittelbare Drittwirkung der Grundrechte noch auf den Grundrechten entnommene Schutzpflichten stützen. Wie in der Untersuchung näher dargelegt wird, liegen die Voraussetzungen, unter denen das Bundesverfassungsgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung ausnahmsweise eine verfassungsrechtliche Korrektur privatrechtlicher Verträge bejaht hat, hier nicht vor. Es fehlt sowohl an dem durch das Bundesverfassungsgericht hierfür geforderten strukturellen Übergewicht einer der Vertragsparteien als auch an der vertraglichen Begründung einer ungewöhnlichen Belastung der schwächeren Vertragspartei.